Der Wohnungsverkauf – und die notariell beurkundete Genehmigungserklärung der geschäftsunfähigen Betreuten

Sind öffentliche Urkunden im Sinne von § 415 Abs. 1 ZPO echt und mangelfrei, erbringen sie den vollen Beweis dafür, dass die Erklärung des Urkundsbeteiligten mit dem niedergelegten Inhalt so, wie beurkundet und nicht anders, abgegeben wurde. Die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung ist nicht von der Beweiskraft erfasst; ob durch die Erklärung über eine Tatsache diese Tatsache selbst bewiesen wird, hat das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung zu entscheiden.

Der Wohnungsverkauf – und die notariell beurkundete Genehmigungserklärung der geschäftsunfähigen Betreuten

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt ein Erbe den Betreuer der Erblasserin auf Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung bei der Veräußerung einer Immobilie der Erblasserin in Anspruch. Der Betreuer war im Zeitraum von September 2015 bis Februar 2016 als vorläufiger Betreuer und im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 als (endgültiger) Betreuer für die 1935 geborene Erblasserin bestellt, zuletzt unter anderem mit dem Aufgabenbereich „Vermögenssorge einschließlich des Verkaufs des Eigentums an der Wohnung in …H.“.  Am 30.12.2015 schloss der Betreuer als Betreuer im Namen der Erblasserin einen notariell beurkundeten Kaufvertrag, mit dem die Wohnung der Erblasserin für 120.000 € an eine Person aus dem Bekanntenkreis der Mutter des Betreuers (und Tochter der Erblasserin) veräußert und die Erblasserin als Verkäuferin zur Übernahme sämtlicher mit dem Vertrag und seiner Durchführung verbundenen Kosten sowie zur Tragung der Grunderwerbssteuer verpflichtet wurde. Der Bildung des Kaufpreises lag dabei eine zweiseitige und als „gutachterliche Stellungnahme“ bezeichnete Wertermittlung durch einen Immobilienmakler zugrunde. Der den Vertrag beurkundende Notar legte den Kaufvertrag dem Betreuungsgericht zur gerichtlichen Genehmigung vor. Das Betreuungsgericht teilte dem Betreuer durch Verfügung vom 31.03.2016 mit, dass gegen die Veräußerung der Wohnung angesichts des im Betreuungsverfahren mehrfach geäußerten Wunsches der Erblasserin im Grundsatz keine Bedenken bestünden, die Angemessenheit des Kaufpreises aber durch Gutachten eines vereidigten Sachverständigen zu belegen sei, da die Wertermittlung durch den Hausmakler kein Verkehrswertgutachten darstelle. Mit notarieller Urkunde vom 05.04.2016 erklärte die unstreitig geschäftsfähige Erblasserin die Genehmigung des Kaufvertrages. Die Niederschrift der Beurkundungsverhandlung hat auszugsweise den folgenden Inhalt: 

„Die Beteiligte erklärte: (…)

Den wesentlichen Inhalt des Kaufvertrages hat mir der heute amtierende Notar erklärt. Er hat mich insbesondere darauf hingewiesen, dass das Objekt gemäß § 2 des vorgenannten Vertrages zu einem Kaufpreis von 120.000 € (…) verkauft wird.

Mir ist ebenfalls bekannt, dass dieser Betrag einer gutachterlichen Stellungnahme des Hausmaklers H. (…) vom 21.12.2015 entspricht. Auch der Inhalt dieser gutachterlichen Stellungnahme wurde mit dem heute amtierenden Notar besprochen.

Ich erkläre hiermit ausdrücklich die Genehmigung aller Erklärungen, die mein Enkelsohn als gerichtlich bestellter Betreuer für mich im Kaufvertrag vom 30.12.2015 (…) abgegeben hat, wobei sich diese Genehmigung insbesondere auf den vereinbarten Kaufpreis von 120.000, 00 € bezieht. Ein Verkauf der Immobilie zu diesem Preis entspricht meinem hiermit ausdrücklich bestätigten Willen.“

In dem vorliegenden Verfahren hat die seit März 2017 durch einen Berufsbetreuer vertretene Erblasserin den Betreuer auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 57.901, 09 € wegen behaupteter Pflichtverletzungen bei der Veräußerung ihrer Wohnung in Anspruch genommen und daneben Herausgabeansprüche gegen die beiden Beklagten im Zusammenhang mit belastenden Verfügungen des Betreuers über das Girokonto der Erblasserin geltend gemacht. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Stade hat die Klage insgesamt abgewiesen[1]. Hiergegen hat sich die Erblasserin mit der Berufung gewendet. Sie ist im Verlauf des Berufungsverfahrens verstorben und von dem Erben – einen von einer anderen Tochter der Erblasserin abstammenden Enkelsohn – allein beerbt worden. Nach Aufnahme des Verfahrens durch den Erben hat das Oberlandesgericht Celle die Berufung zurückgewiesen[2]. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Erbe mit seiner Nichtulassungsbeschwerde, auf die der Bundesgerichtshof nun das Berufungsurteil aufhob und die Sache an das Oberlandesgericht Celle zurückverwies:

Das Oberlandesgericht Celle hat zur Begründung seiner Entscheidung im Hinblick auf mögliche Pflichtverletzungen des Betreuers bei der Veräußerung der Immobilie das Folgende ausgeführt: Ob eine solche Pflichtverletzung des Betreuers gegeben sein könne, richte sich zunächst nach der streitigen Frage, ob die Erblasserin die Wohnung zum Kaufpreis von 120.000 € in Kenntnis eines gegebenenfalls höheren Marktwertes unter Übernahme der Kosten, Gebühren und Steuern habe verkaufen wollen und sodann danach, ob der erzielte Kaufpreis unangemessen niedrig gewesen sei. Insoweit könne sich ein Betreuer zwar nur dann auf einen dem objektiven Wohl des Betreuten zuwiderlaufenden Wunsch des Betreuten berufen, wenn dieser Wunsch auf ausreichender tatsächlicher Grundlage gefasst worden sei. Hinsichtlich des Umfangs der gebotenen Aufklärung entfalte die notarielle Urkunde über die Genehmigung des Wohnungsverkaufs durch die Erblasserin aber die volle Beweiswirkung hinsichtlich des beurkundeten Vorgangs, wobei der Beweis der unrichtigen Beurkundung zulässig sei (§ 415 ZPO). Der Erbe habe ebenso wenig wie die Erblasserin als vormalige Erbenin dargelegt und Beweis dafür angeboten, dass der Vorgang unrichtig beurkundet worden sei. Die Vernehmung des Notars sei dabei erstinstanzlich nur von den Beklagten beantragt worden. Daher habe der Erbe nicht bewiesen, dass der Verkauf der Eigentumswohnung gegen den Willen der Erblasserin erfolgt sei, sodass er diesbezüglich keine Ansprüche gegen den Betreuer herleiten könne. 

Diese Ausführungen lassen den Bundesgerichtshof erkennen, dass dem Oberlandesgericht Celle eine entscheidungserhebliche Verletzung des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unterlaufen ist. 

103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber behandelt werden. Geht ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war[3].

Mit Recht bestandet die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht Celle das zentrale Vorbringen der Klagepartei zur Aufklärung der Erblasserin in der notariellen Beurkundungsverhandlung unberücksichtigt gelassen hat.

Dabei begegnet bereits die Anwendung des § 415 ZPO durch das Oberlandesgericht Celle durchgreifenden Bedenken. Die notarielle Urkunde vom 05.04.2016 über die Genehmigung des Kaufvertrages ist zwar eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Abs. 1 ZPO. Sind solche Urkunden echt und mangelfrei, erbringen sie den vollen Beweis dafür, dass die Erklärung des Urkundsbeteiligten mit dem niedergelegten Inhalt so, wie beurkundet und nicht anders, abgegeben wurde[4]. Bewiesen wird die Richtigkeit der Beurkundung, also die Abgabe der Erklärung nach Inhalt und Begleitumständen, auf den Ort und die Zeit der Abgabe der Erklärung sowie auf die Anwesenheit der Urkundsperson[5]. Die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung ist hingegen nicht von der Beweiskraft erfasst[6]. Ob durch die Erklärung über eine Tatsache diese Tatsache selbst bewiesen wird, hat das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung zu entscheiden[7].

Die Rechtsfolge des § 415 Abs. 1 ZPO erstreckt sich im vorliegenden Fall damit (nur) auf die richtige Beurkundung der von der Erblasserin abgegebenen Erklärung, der Notar habe ihr den „wesentlichen Inhalt“ des Kaufvertrags erklärt, sie insbesondere auf den Kaufpreis von 120.000 € hingewiesen und mit ihr den Inhalt der „gutachterlichen Stellungnahme“ besprochen. Verfahrensfehlerhaft ist demgegenüber die Annahme des Oberlandesgerichts Celle, es sei bereits aufgrund der Urkunde – unter Ausschluss einer davon abweichenden richterlichen Beweiswürdigung – die Tatsache bewiesen, dass die Erklärung der Erblasserin inhaltlich zutrifft und der Notar mit ihr den Kaufvertrag und die Wertermittlung durch den Immobilienmakler tatsächlich erörtert hat, weil der Erbe den ihm obliegenden Nachweis einer unrichtigen Beurkundung nach § 415 Abs. 2 ZPO nicht habe führen können. 

Ob dieser Verfahrensfehler, mit dem sich das Oberlandesgericht Celle schon im beweisrechtlichen Ausgangspunkt den Zugang zum Erbenvortrag hinsichtlich des Inhalts der Beurkundungsverhandlung und den in diesem Zusammenhang angebotenen Beweisen verstellt hat, bereits zu einem Verstoß gegen das Verfahrensgrundrecht des Erben auf rechtliches Gehör führt, braucht indessen nicht entschieden zu werden. Denn es ist auch dann von einem Gehörsverstoß des Oberlandesgerichts Celle auszugehen, wenn man – wie das Oberlandesgericht Celle wohl meint – annehmen wollte, dass die Aufklärung der Erblasserin durch den Notar über den „wesentlichen Inhalt“ des Kaufvertrags und die Besprechung der „gutachterlichen Stellungnahme“ mit der Erblasserin aufgrund der Urkunde bereits bewiesen seien. Auch von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte sich das Oberlandesgericht Celle jedenfalls die Frage vorlegen müssen, was der „wesentliche Inhalt“ des Kaufvertrages gewesen ist, auf den die Erblasserin durch den Notar hingewiesen worden war und welchen Inhalt die Besprechung der „gutachterlichen Stellungnahme“ des Hausmaklers zwischen dem Notar und der Erblasserin hatte. 

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht geltend macht, lässt sich der in diesem Zusammenhang gehaltene und teilweise wiederholte Parteivortrag der Erbeneite im instanzengerichtlichen Verfahren wie folgt zusammenfassen: Der Erblasserin seien von dem Notar weder der Kaufvertrag noch die „gutachterliche Stellungnahme“ des Hausmaklers vollständig vorgelesen worden. Die notarielle Urkunde sei in Bezug auf den Umfang der Aufklärung der Erblasserin „inhaltslos“ und „im Streitfall nichts wert“. Der Notar habe die Erblasserin nicht darauf hingewiesen, dass ihr nach dem Wortlaut des Kaufvertrages „ganz gegen jede Regel“ die üblicherweise vom Käufer zu übernehmenden Vertragskosten und Steuern überbürdet worden seien. Man habe die Erblasserin auch nicht darüber aufgeklärt, dass es sich bei der „gutachterlichen Stellungnahme“ lediglich um die einfache Schätzung eines Grundstücksmaklers, nicht aber um das Wertgutachten eines Sachverständigen gehandelt habe. Auch habe die Erblasserin nicht gewusst, dass bei der Schätzung der im Kaufvertrag mitveräußerte Stellplatz nicht berücksichtigt worden sei. Der von dem Makler angesetzte Schätzbetrag habe im Übrigen auch deshalb zu niedrig gelegen, weil er auf der Annahme eines eilbedürftigen Verkaufs beruhe, für den es keine Veranlassung gegeben habe. 

Das Oberlandesgericht Celle hat den dargestellten Erbenvortrag zwar teilweise im Tatbestand referiert. Es hat sich aber mit diesem Vorbringen bei der Beurteilung der – auch aus seiner Sicht – maßgeblichen Frage nach der (ausreichenden) Aufklärung der Erblasserin in der Beurkundungsverhandlung vom 05.04.2016 inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Dies lässt den Rückschluss darauf zu, dass das Oberlandesgericht Celle den Erbenvortrag nur seinem Wortlaut nach, nicht aber – wie nach Art. 103 Abs. 1 GG geboten – vollständig und in seinem Kerngehalt zur Kenntnis genommen hat.

Das Oberlandesgericht Celle hat insbesondere nicht erörtert, ob die zulasten des Verkäufers getroffene Regelung zur Kostentragung zu dem „wesentlichen Inhalt“ des Kaufvertrages gehörte, über den der Notar die Erblasserin aufgeklärt hatte. Der grundsätzlich zutreffende Hinweis der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung darauf, dass es bei der Beurkundung der in notarieller Form zu erteilenden Genehmigung einer von einem vollmachtlosen Vertreter abgeschlossenen Grundstückskaufvertrages nicht der Verlesung des in Bezug genommenen Vertrages bedarf[8], trägt zur Beantwortung dieser Frage nichts bei, weil es nicht um Verstöße gegen Beurkundungsverfahrensrecht (§§ 13, 13 a BeurkG), sondern darum geht, ob die dem Betreuer als Betreuer gegenüber der Erblasserin obliegenden Aufklärungspflichten mit der Aufklärung durch den Notar erfüllt worden sind. Ob – wie die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung wohl meint – aus dem Umstand, dass die Überbürdung der Beurkundungs- und Grundbuchkosten sowie der Grunderwerbssteuern auf die Erblasserin als Verkäuferin von der gesetzlichen Regel des § 448 Abs. 2 BGB abweiche[9], darauf geschlossen werden könne, dass die Kostentragungsregelung zu dem in der Beurkundungsverhandlung erörterten „wesentlichen Inhalt“ des Kaufvertrages gehört habe, ist Gegenstand der freien Beweiswürdigung durch das Gericht im Rahmen einer Sachverhaltsaufklärung, der sich das Oberlandesgericht Celle aber gerade verschlossen hat. Im Übrigen lässt der Inhalt der Urkunde schon nach seinem Wortlaut nicht erkennen, dass die Erblasserin wenigstens überschlägig über den Umfang der wirtschaftlichen Folgen einer von der gesetzlichen Regel abweichenden Übernahme von Vertragskosten und Grunderwerbssteuern – die nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Celle zu einer Reduzierung des der Erblasserin zufließenden Nettoverkaufserlöses von 120.000 € auf 112.098, 91 € geführt hat – in Kenntnis gesetzt worden ist. 

Das Oberlandesgericht Celle ist auch nicht auf das klägerische Vorbringen eingegangen, wonach der Erblasserin nicht bekannt gewesen sei, dass es sich bei der „gutachterlichen Stellungnahme“ des Hausmaklers nicht um ein Verkehrswertgutachten gehandelt habe, sondern um eine Werteinschätzung, die zudem auf die Ermittlung eines kurzfristig erzielbaren Erlöses gerichtet gewesen sei. Auch hat das Oberlandesgericht Celle nicht erörtert, ob die der Kaufpreisbildung zugrundeliegende Wertermittlung durch den Hausmakler den zur Wohnung gehörenden und mitveräußerten Stellplatz unberücksichtigt gelassen habe und die Erblasserin darüber aufgeklärt worden sein könnte. Auch wenn die „gutachterliche Stellungnahme“ bei der Beschreibung der Wohnung durchaus einen mit dem Sondereigentum verbundenen „Aussen-Stellplatz“ erwähnt, ist mangels entgegenstehender tatrichterlicher Feststellungen für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass das Vorhandensein eines Stellplatzes als werterhöhender Faktor bei der Wertermittlung durch den Hausmakler nicht berücksichtigt worden ist. Dass die genannten Umstände in der Beurkundungsverhandlung zur Sprache gekommen worden sind, lässt sich allein auf der Grundlage der notariellen Urkunde aus der pauschalen Formulierung, die „gutachterliche Stellungnahme“ sei von dem Notar mit der Erblasserin „besprochen“ worden, nicht ohne weiteres entnehmen. 

Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.

Nach den – hier noch anwendbaren – §§ 1833 Abs. 1 Satz 1, 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB aF ist der Betreuer dem Betreuten für den aus einer Pflichtverletzung entstehenden Schaden verantwortlich, wenn ihm ein Verschulden zu Last fällt. Die Pflichten des Betreuers werden in § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB aF konkretisiert, wonach der Betreuer innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenkreises die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen hat, wie es dessen Wohl entspricht. Veräußert der Betreuer eine Immobilie des Betreuten, ist er schon wegen der typischerweise besonders hohen wirtschaftlichen Bedeutung dieses Geschäfts zu einer sorgfältigen Ermittlung des Werts dieser Immobilie verpflichtet, um diese im objektiven Interesse des Betreuten bestmöglich verwerten zu können[10]. Das wird in der Regel die Beauftragung eines Verkehrswertgutachtens gebieten, wenn nicht der Betreuer ausnahmsweise selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt oder im Einzelfall – was im vorliegenden Fall vom Oberlandesgericht Celle nicht festgestellt wurde – beispielsweise wegen einer besonderen Eilbedürftigkeit des Verkaufs im Einzelfall die Einholung der Markteinschätzung eines Immobilienmaklers über den kurzfristig zu erlösenden Kaufpreis sachgerecht erscheint. Unabhängig davon ist der Betreuer vor dem Verkauf des Grundstücks zu einer kritischen Würdigung der Wertermittlung verpflichtet[11].

)) Das Wohl des Betreuten kann indessen nicht allein nach objektiven Kriterien bestimmt werden. Vielmehr gehört zum Wohl des Betreuten auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB aF). Deshalb ist die individuelle Lebenssituation des Betreuten und dessen subjektive Sicht seiner Interessen in die Beurteilung einzubeziehen, was dem Wohl des Betreuten entspricht. Der Wunsch des Betreuten ist im Grundsatz auch dann beachtlich, wenn dieser seinen objektiven Interessen zuwiderläuft, sofern die Erfüllung des Wunsches nicht höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährden oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde. Allerdings gilt der Vorrang des Willens des Betreuten nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sind und sich nicht nur als bloße Zweckmäßigkeitserwägungen darstellen. Beachtlich sind auch nur solche Wünsche, die nicht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sind und auf der Grundlage ausreichender Tatsachenkenntnis gefasst wurden[12]. Der Betreuer kann sich deshalb nur dann auf einen objektiv interessenwidrigen Wunsch des Betreuten berufen, wenn er ihn – in Anlehnung an die für die Anwaltshaftung entwickelten Grundsätzen – über die mit der Wunscherfüllung verbundenen Risiken aufgeklärt und ihm andere weniger nachteilige Wege zur Erreichung des verfolgten Ziels aufgezeigt hat, wobei sich der Grad der erforderlichen Aufklärung des Betreuten zum einen nach der Wichtigkeit des Geschäfts und zum anderen danach richtet, was in den Lebenskreisen, denen der Betreuer angehört, billigerweise erwartet werden kann[13]

Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen und auch von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht beanstandeten Feststellungen des Oberlandesgerichts Celle hat die Veräußerung der Wohnung nicht zu einer Verschlechterung der Lebens- und Versorgungssituation der Erblasserin geführt, sodass es unter den hier obwaltenden Umständen allein zweifelhaft sein könnte, ob die Erblasserin den mit der Genehmigungserklärung dokumentierten Willen, die Wohnung gerade zu den im Kaufvertrag festgelegten Bedingungen zu veräußern, auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage gebildet hat. Auch dann, wenn – wie hier im Regressverfahren gegen den Betreuer streitig ist, ob die erforderliche Aufklärung des Betreuten stattgefunden hat, gilt der allgemeine Grundsatz, dass diejenige Partei, die eine Aufklärungspflichtverletzung behauptet, dafür die Beweislast trägt. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behaupteten Aufklärungsdefizite substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft[14]

Das Oberlandesgericht Celle hat nicht festgestellt, dass die Erblasserin zur Kaufpreisbildung und zu den vertraglichen Bestimmungen des Kaufvertrages durch den Betreuer selbst ausreichend informiert worden ist, sodass es – auch aus Sicht des Oberlandesgerichts Celle – allein darauf ankam, welchen Inhalt die Aufklärung durch den Notar in der Beurkundungsverhandlung hatte oder nicht hatte. Zwar hat sich die Klagepartei nicht auf das Zeugnis des die Genehmigungserklärung beurkundenden Notars berufen. Sie hat aber, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, jedenfalls mit Schriftsatz vom 27.01.2022 und in der Berufungsbegründung vom 27.07.2019 noch hinreichend deutlich die Vernehmung des Rechtsanwalts B. zu den Schilderungen angeboten, welche die Erblasserin ihm gegenüber als ihrem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bezüglich der in der Beurkundungsverhandlung vermittelten Kenntnisse über den Inhalt des Kaufvertrages gemacht haben soll. Es ist nicht vollständig ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht Celle zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es diesen – nicht offensichtlich ungeeigneten[15] – Beweis erhoben hätte. 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. August 2024 – XII ZR 62/22

  1. LG Stade, Urteil vom 18.04.2019 – 6 O 18/19[]
  2. OLG Celle, Urteil vom 25.05.2022 – 16 U 84/19[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 05.02.2020 – XII ZB 252/19 , FamRZ 2020, 784 Rn. 16 mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2016 – V ZR 295/14 – WM 2018, 475 Rn. 6 mwN[]
  5. vgl. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 5. Aufl. § 415 Rn. 28[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2015 – IX ZR 68/14 , FamRZ 2015, 1389 Rn. 13[]
  7. vgl. Stein/Jonas/Berger ZPO 23. Aufl. § 415 Rn. 26[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1988 – III ZR 84/87 , NJW 1989, 164, 165[]
  9. vgl. dazu BGH, Urteil vom 11.06.2010 – V ZR 85/09 , NJW 2010, 2873 Rn. 21[]
  10. vgl. BGH, Urteil BGHZ 182, 116 = NJW 2009, 2814 Rn. 32 f.[]
  11. vgl. auch BGH, Urteil vom 05.05.1983 – III ZR 57/82 , FamRZ 1983, 1220 zur Haftung des Amtsvormunds[]
  12. vgl. BGH, Urteil BGHZ 182, 116 = NJW 2009, 2814 Rn.20 f., 24[]
  13. vgl. BGH, Urteil BGHZ 182, 116 = NJW 2009, 2814 Rn. 24[]
  14. vgl. zur Anwaltshaftung: BGH, Urteile vom 07.03.2019 – IX ZR 221/18 , NJW 2019, 1870 Rn. 28; und vom 11.10.2007 – IX ZR 105/06 , FamRZ 2008, 144 Rn. 12 mwN[]
  15. vgl. auch BGH, Beschluss vom 12.12.2018 – XII ZR 99/17 – NZM 2019, 255 Rn. 14 f.[]