Die unerwünschte Betreuung

Nach der zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift des § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist deswegen neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

Die unerwünschte Betreuung

Die Vorschrift beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Einrichtung einer Betreuung den Betreuten ganz oder teilweise in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränkt. An seiner Stelle kann innerhalb des vom Gericht angeordneten Aufgabenkreises auch der Betreuer entscheiden. Je nach Aufgabenkreis kann es deshalb auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten kommen. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen gegen den Willen des zu Betreuenden setzt deswe-gen voraus, dass der Betreute seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger in ihrer Freiheit zu beschränken, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährden. Die Bestellung eines Betreuers, ohne dass hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung des freien Willens vorliegen, verletzt deshalb das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG[1].

Hinzu kommt, dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen des eigenen Persönlichkeits-bildes schützt. Die Einrichtung einer Betreuung hat für den Betroffenen stigma-tisierende Wirkung. Mit ihr ist die Einschätzung verbunden, der Betreute könne einen freien Willen nicht bilden. Hierdurch wird das Persönlichkeitsbild des Betroffenen negativ geprägt und beeinträchtigt. Ein solcher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Untersuchung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung tatsächlich gegeben sind. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Betreuung im Wege einer einstweiligen Anordnung eingerichtet wird[2].

Ebenso hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass jeder das Recht habe, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Soweit der Betroffene zur freien Willensbestimmung fähig ist, darf gegen seinen Willen ein Betreuer nicht bestellt werden. Eine Bestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist[3].

Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. So vermag ein an einer Psychose erkrankter Betroffener das Wesen und die Bedeutung einer Betreuung im Detail eher zu begreifen als der an einer Demenz leidende Betroffene. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenberei-chen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können[4].

Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknot-wendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen[5]. Diese Voraussetzungen hat das fachärztlich beratene Gericht festzustellen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10

  1. BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rn. 43[]
  2. BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rn. 46[]
  3. BT-Drs. 15/2494 S. 28[]
  4. BT-Drucks. 15/2494 S. 28[]
  5. OLG Hamm FamRZ 2009, 1436 Rn. 9; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 152 Rn. 10; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 1710 Rn. 4; OLG Köln FGPrax 2006, 117 Rn. 5[]