Die Entscheidung über private Postangelegenheiten

Eine Anordnung zur Entscheidung über die Postangelegenheiten des Betroffenen nach § 1896 Abs. 4 BGB ist nur zulässig, soweit die Befugnis erforderlich ist, um dem Betreuer die Erfüllung einer ihm ansonsten übertragenen Betreuungsaufgabe in der gebotenen Weise zu ermöglichen. Zudem setzt eine solche Anordnung regelmäßig voraus, dass sie erforderlich ist, um eine erhebliche Gefährdung oder Beeinträchtigung von wesentlichen Rechtsgütern des Betroffenen zu beseitigen. Beides muss durch konkrete tatrichterliche Feststellungen belegt werden.

Die Entscheidung über private Postangelegenheiten

Die Voraussetzungen, unter denen dem Betreuer die Postkontrolle übertragen werden kann, sind im Gesetz nicht eigens geregelt (vgl. § 1896 Abs. 4 BGB)[1].

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer indes nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie – auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit – notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen.

Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann[2].

Der Erforderlichkeitsgrundsatz gilt auch und gerade im Rahmen einer Anordnung zur Regelung von Postangelegenheiten des Betroffenen nach § 1896 Abs. 4 BGB[3]. Aus diesem Grundsatz und der gebotenen Beachtung der Verhältnismäßigkeit folgt, dass eine derartige Anordnung nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist[4].

Sie ist nur zulässig, soweit die Befugnis erforderlich ist, um dem Betreuer die Erfüllung einer ihm ansonsten übertragenen Betreuungsaufgabe in der gebotenen Weise zu ermöglichen.

Denn mit einer Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB wird dem Betreuer eine Annexbefugnis zur Erfüllung eines anderen – ihm übertragenen – Aufgabenkreises eingeräumt[5]. Andernfalls wäre eine solche Anordnung, mit der in das Grundrecht des Brief, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) des Betroffenen eingegriffen wird[6], unverhältnismäßig, weil die Kontrolle der Kommunikation des Betroffenen als solche – ohne sachlichen Bezug zu einem weiteren Aufgabenkreis des Betreuers – keinen legitimen Zweck für einen Eingriff in das vorgenannte Grundrecht des Betroffenen darstellen kann[7].

Aus diesen Anforderungen folgt zugleich, dass eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB eine Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und einen objektiven Betreuungsbedarf auch in diesem Aufgabenbereich voraussetzt. Denn andernfalls wäre eine Befugnis des Betreuers zur Kontrolle dieser Kommunikation nicht erforderlich, um ihm die Erfüllung seiner eigentlichen Betreuungsaufgabe zu ermöglichen.

Aus bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen lässt sich die Erforderlichkeit einer Betreuung im Rahmen von § 1896 Abs. 4 BGB somit nicht herleiten[8].

Eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB setzt regelmäßig weiter voraus, dass sie erforderlich ist, um eine erhebliche Gefährdung oder Beeinträchti- gung von wesentlichen Rechtsgütern des Betroffenen zu beseitigen.

Denn das Grundgesetz weist den in Art. 10 Abs. 1 GG garantierten Grundrechten des Brief, Post- und Fernmeldegeheimnisses hohen Rang zu[9]. Demgegenüber stellt eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB regelmäßig einen nicht nur geringfügigen, sondern schweren Eingriff in dieses Grundrecht dar. Dieser wäre ohne das Vorliegen gewichtiger Interessen des Betroffenen in Form einer erheblichen Gefährdung oder Beeinträchtigung wesentlicher Rechtsgüter, der mit einer Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB begegnet werden soll, regelmäßig nicht zu rechtfertigen; die Anordnung wäre unverhältnismäßig im engeren Sinne[10].

Das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen ist schließlich durch konkrete tatrichterliche Feststellungen zu belegen.

Dies gilt auch bezüglich der privaten Post eines Betroffenen, sofern diese nicht von einer Betreuung in Postangelegenheiten ausgenommen wird[11].

Diesen Anforderungen wird die hier angefochtene Entscheidung nicht gerecht:

Der vom Amtsgericht Offenbach am Main[12] angeordnete und im Beschwerdeverfahren vom Landgericht Darmstadt[13] nicht beanstandete Aufgabenkreis umfasst – mangels Einschränkung in der amtsgerichtlichen Entscheidung – auch die Kontrolle der privaten Post des Betroffenen. Für diesen Bereich fehlen indessen ausreichende Feststellungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Betreuung.

Der Verweis des Beschwerdegerichts auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten trägt nicht die Anordnung einer Betreuung für private Postangelegenheiten. Denn der Sachverständige hat in seinem Gutachten lediglich eine Betreuung „in Postangelegenheiten, soweit es sich erkennbar nicht um Privatpost handelt“, empfohlen.

Auch die Feststellung des Beschwerdegerichts, die Erkrankung des Betroffenen habe in den vergangenen Jahren zu einem „massiven Verlust sozialer Kontakte“ geführt, ist nicht ausreichend. Zwar mag es Fälle geben, bei denen gerade aus diesem Grund (soziale Isolation) eine Betreuung in privaten Postangelegenheiten erforderlich werden kann, etwa wenn der Kontaktverlust auf der subjektiven Unfähigkeit eines Betroffenen beruht, seine private Post mit Verwandten, Freunden oder Bekannten zu regeln[14]. Hierzu hat das Beschwerdegericht indes auch im Ansatz keine Feststellungen getroffen, auch nicht dazu, dass der Kontaktverlust die Gesundheit des Betroffenen bereits erheblich gefährdet oder beeinträchtigt hat, eine Regelung der privaten Post durch den Betreuer also als Annexbefugnis zur Ausübung der ihm übertragenen Gesundheitssorge erforderlich wäre.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 153/20

  1. zur eingeschränkten Wirkung dieser Entscheidung im Betreuungsverfahren selbst vgl. BGH, Beschluss vom 26.06.2019 – XII ZB 35/19 , FamRZ 2019, 1636 Rn. 15 mwN[]
  2. st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10.06.2020 – XII ZB 25/20 , NJW-RR 2020, 1009 Rn. 9 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2015 – XII ZB 520/14 FamRZ 2015, 650 Rn. 15; OLG München FamRZ 2008, 89; LG Köln FamRZ 1992, 856, 857[]
  4. vgl. auch BayObLG FamRZ 2001, 1558, 1559; MünchKommBGB/Schneider 8. Aufl. § 1896 Rn. 278 f.; Staudinger/Bienwald BGB [2017] § 1896 Rn. 187; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.09.2016] § 1896 Rn. 243; HK-BUR/Bauer/Deinert [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 268 f.; Jurgeleit Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1896 Rn. 168[]
  5. vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2016, 586, 588 f.; Staudinger/Bienwald BGB [2017] § 1896 Rn. 235; Palandt/Götz BGB 79. Aufl. § 1896 Rn. 21; Pardey/Kieß Betreuungs- und Unterbringungsrecht 6. Aufl. § 7 Rn. 8[]
  6. vgl. BVerfG NJW 1985, 121, 122 – zum Schutzbereich dieses Grundrechts[]
  7. vgl. BeckOGK/Schmidt-Recla BGB [Stand: 1.07.2020] § 1896 Rn. 287[]
  8. aA OLG Oldenburg FamRZ 1996, 757, 758 – zur Postkontrolle; vgl. BGH, Beschluss vom 21.01.2015 – XII ZB 324/14 , FamRZ 2015, 649 Rn. 9 – zur Vermögensbetreuung[]
  9. BVerfG NJW 1985, 121, 122[]
  10. vgl. BVerfG NJW 2003, 1787, 1791[]
  11. vgl. Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.09.2016] § 1896 Rn. 247; HK-BUR/Bauer/Deinert [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 272[]
  12. AG Offenbach a.M., Beschluss vom 12.11.2019 – 14 XVII 200/19[]
  13. LG Darmstadt, Beschluss vom 02.03.2020 – 5 T 697/19[]
  14. vgl. dazu HK-BUR/Bauer/Deinert [Stand: Februar 2013] § 1896 Rn. 272[]