Anpassung des Aufgabenkreises bei bestehender Betreuung

Ist das Betreuungsgericht im Zeitraum vor dem 1.01.2028 im Rahmen einer Entscheidung über die Genehmigung der Unterbringung des Betreuten (§ 1831 Abs. 2 Satz 1 BGB) gemäß Art. 229 § 54 Abs. 4 Satz 2 EGBGB dazu verpflichtet, den Aufgabenkreis des Betreuers im Bestellungsbeschluss nunmehr an die Erfordernisse des § 1815 Abs. 2 BGB anzupassen, sind auf das Verfahren zur Neubestimmung des Aufgabenkreises die Vorschriften über die Erweiterung der Betreuung nach § 293 FamFG entsprechend anzuwenden.

Anpassung des Aufgabenkreises bei bestehender Betreuung

Die Verfahrenserleichterung gemäß § 293 Abs. 3 FamFG, nach der für das Gericht die Möglichkeit des Absehens von einem Gutachten oder ärztlichen Zeugnis besteht, kommt insbesondere für solche Erweiterungen des Aufgabenkreises in Betracht, die darauf zurückzuführen sind, dass es nach dem seit dem 1.01.2023 gültigen Rechtszustand (§ 1815 Abs. 2 BGB) einer ausdrücklichen gerichtlichen Anordnung bestimmter Aufgabenbereiche bedarf. Macht das Gericht von dieser Verfahrenserleichterung keinen Gebrauch, muss das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten den formalen Anforderungen der §§ 293 Abs. 1 Satz 1, 280 FamFG genügen.

Das Verfahren der Anpassung bestehender Bestellungsbeschlüsse an das Erfordernis, die Entscheidungen über die freiheitsentziehende Unterbringung (§ 1815 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und freiheitsentziehende Maßnahmen (§ 1815 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausdrücklich in den Aufgabenkreis des Betreuers einzubeziehen, richtet sich nach den Vorschriften über die Erweiterung der Betreuung (§ 293 FamFG).

Nach Art. 229 § 54 Abs. 4 Satz 1 EGBGB findet § 1815 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BGB auf Betreuungen, die am 1.01.2023 bestehen, bis zum 1.01.2028 keine Anwendung. Damit sollen dem Betreuer die ihm vor dem Inkrafttreten des Betreuungsrechtsreformgesetzes zustehenden Vertretungsbefugnisse während einer Übergangsfrist von fünf Jahren erhalten bleiben und insbesondere sichergestellt werden, dass ein Betreuer, dem nach früherem Recht (nur) die Aufgabenbereiche Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitssorge zugewiesen waren, während der Übergangsfrist weiterhin Unterbringungsmaßnahmen bei Gefahr im Verzug nach § 1831 Abs. 2 Satz 2 BGB ohne gerichtliche Genehmigung vornehmen kann[1]. Hat das Gericht indessen schon vor dem Ablauf der Übergangsfrist über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung oder – wie hier – in einem gerichtlichen Genehmigungsverfahren nach § 1831 Abs. 2 Satz 1 BGB über die Unterbringung des Betreuten zu entscheiden, ist es dazu verpflichtet, den Aufgabenkreis im Bestellungsbeschluss an die Erfordernisse des § 1815 Abs. 2 BGB anzupassen (Art. 229 § 54 Abs. 4 Satz 2 EGBGB). Obwohl damit in materiellrechtlicher Hinsicht innerhalb der Übergangsfrist keine Änderung der Vertretungsbefugnisse des Betreuers verbunden ist, hat das Gericht bei der Anpassung des Bestellungsbeschlusses die Verfahrensvorschriften des § 293 FamFG über die Erweiterung der Betreuung entsprechend anzuwenden, zumal die ausdrückliche Zuweisung der Aufgaben nach § 1815 Abs. 2 BGB regelmäßig Wirkung auch über den Ablauf der fünfjährigen Übergangsfrist hinaus entfalten wird.

Nach § 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten für die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers und die Erweiterung des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen die Vorschriften über die Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Daher hat das Gericht gemäß § 280 FamFG grundsätzlich ein Gutachten über die Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen. Mit Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht seine Entscheidung über die Erweiterung der Betreuung nicht auf das am 28.07.2022 erstattete Sachverständigengutachten zur Frage der Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts stützen konnte.

Nach § 293 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG kann das Gericht insbesondere dann von der persönlichen Anhörung des Betroffenen und von der Einholung eines Gutachtens oder ärztlichen Zeugnisses absehen, wenn die beabsichtigte Erweiterung der Betreuung nicht wesentlich ist. Diese Verfahrenserleichterungen kommen insbesondere dann nicht zum Tragen, wenn das Betreuungsgericht – wie hier – nach dem Inkrafttreten des reformierten Betreuungsrechts zum 1.01.2023 erstmals darüber zu befinden hat, die Entscheidung über die freiheitsentziehende Unterbringung (§§ 1831, 1815 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und freiheitsentziehende Maßnahmen (§§ 1831, 1815 Abs. 2 Nr. 2 BGB) gesondert in die Betreuung einzubeziehen. Denn die Erstreckung des Aufgabenkreises auf diese Aufgaben ist kraft gesetzlicher Anordnung in § 293 Abs. 2 Satz 2 FamFG stets als wesentliche Erweiterung der Betreuung anzusehen.

Nach § 293 Abs. 3 FamFG kann das Gericht auch bei einer wesentlichen Erweiterung der Betreuung von der Einholung eines Gutachtens oder eines ärztlichen Zeugnisses absehen, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers nicht aufgrund einer Änderung des Krankheits- oder Behinderungsbildes des Betroffenen, sondern aufgrund der Änderung seiner Lebensumstände oder einer unzureichenden Wirkung anderer Hilfen erweitert werden soll. Von dieser Regelung erfasst werden sollen zur Vermeidung eines Mehraufwands bei den Betreuungsgerichten vor allem solche Erweiterungen der Betreuung, die darauf zurückzuführen sind, dass es nach dem neuen Betreuungsrecht (§ 1815 Abs. 2 BGB) seit dem 1.01.2023 einer ausdrücklichen gerichtlichen Anordnung bestimmter Aufgabenbereiche bedarf[2].

Obwohl danach der Anwendungsbereich von § 293 Abs. 3 FamFG im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall grundsätzlich eröffnet gewesen wäre, kam ein Absehen von der Begutachtung des Betroffenen gleichwohl nicht in Betracht. Die Einrichtung der Betreuung im Jahr 2018 erfolgte auf Anregung und mit Einverständnis des Betroffenen, sodass das Betreuungsgericht seinerzeit keine Feststellungen zum Vorliegen eines freien Willens im Sinne von § 1814 Abs. 2 BGB (früher: § 1896 Abs. 1a BGB) treffen musste. Nachdem der Betroffene im vorliegenden Verfahren durch die Einlegung der Beschwerde gegen den Betreuungsbeschluss vom 16.01.2023 aber zum Ausdruck gebracht hatte, mit der Neubestimmung des Aufgabenkreises der Betreuung nicht einverstanden zu sein, war es nunmehr jedenfalls erforderlich, Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung zu treffen. Diese Feststellungen müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein[3]

Aber auch unabhängig davon, ob das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen von der Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte absehen können, muss ein gleichwohl zum Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen eingeholtes oder herangezogenes Gutachten, auf das sich das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung stützen will, den formalen Anforderungen des § 280 FamFG genügen[4] und in verfahrensrechtlich ordnungsgemäßer Weise verwertet worden sein.

Im übrigen ist wegen der gesetzlich angeordneten Förmlichkeit der Beweisaufnahme (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 2 FamFG) die Verwertung eines in einem anderen Verfahren (hier: im Unterbringungsverfahren) eingeholten Gutachtens verfahrensrechtlich nur dann zulässig ist, wenn es entsprechend § 411 a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen. Zudem muss das Gericht den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung des Gutachtens rechtliches Gehör gewähren, wenn es von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch machen will[5]

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Februar 2024 – XII ZB 130/23

  1. vgl. BT-Drs.19/24445 S. 322, 488[]
  2. vgl. Ivanits in Dutta/Jacoby/Schwab FamFG 4. Aufl. § 293 Rn. 12; Schneider FamRZ 2022, 1, 5; vgl. auch BT-Drs.19/24445 S. 235[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.2022 – XII ZB 158/21 , FamRZ 2023, 467 Rn. 7 mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.2016 – XII ZB 606/15 , FamRZ 2016, 2090 Rn. 11 mwN zur Einholung eines Gutachtens im Aufhebungsverfahren nach § 294 FamFG[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2016 – XII ZB 152/16, FamRZ 2017, 48 Rn. 8 mwN[]