Verfahrungskostenhilfe im Betreuungsverfahren – und die Beiordnung eines Rechtsanwalts

Mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Betreuungsverfahren hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen. Konkret ging es in dem Verfahren um einen Betreuerwechsel auf Antrag des Betreuten:

Verfahrungskostenhilfe im Betreuungsverfahren – und die Beiordnung eines Rechtsanwalts

Für Verfahren in Betreuungssachen werden von einem sozialhilfebedürftigen und vermögenslosen Betreuten weder Gerichtsgebühren noch gerichtliche Auslagen erhoben. Ist das gerichtliche Verfahren gerichtskostenfrei, kann Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich nur dann bewilligt werden, wenn dem Beteiligten auch ein Rechtsanwalt beigeordnet werden kann[1]. Es müssen daher auch die Voraussetzungen des § 78 Abs. 2 FamFG für die Beiordnung eines Rechtsanwalts gegeben sein.

Gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten, wenn eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich das Verfahren für einen Beteiligten schon allein wegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage so kompliziert darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter vernünftigerweise einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde. Allein eine möglicherweise existentielle Bedeutung der Sache kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts für sich genommen dagegen nicht mehr begründen[2]; sie kann allenfalls ähnlich wie das Kriterium der Waffengleichheit als ein zusätzlicher Gesichtspunkt für die einzelfallbezogene Beurteilung der Frage ausgewertet werden, ob ein bemittelter Beteiligter angesichts der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Falles im Zweifel einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte[3]. Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven Fähigkeiten des unbemittelten Beteiligten[4], insbesondere dessen Fähigkeiten, sich schriftlich oder mündlich auszudrücken.

Die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung richtet sich daher grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls. Die gebotene einzelfallbezogene Prüfung lässt eine Herausbildung von Regeln, nach denen einem mittellosen Beteiligten für bestimmte Verfahren immer oder regelmäßig ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, nur in engen Grenzen zu[5]. Dies gilt auch und gerade für Verfahren in Betreuungssachen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollen die Interessen der Betroffenen in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren grundsätzlich durch die Bestellung eines Verfahrenspflegers gewahrt werden. Dieser nimmt in tatsächlich einfach und rechtlich durchschnittlich gelagerten Fällen die Interessen der Betroffenen wahr, wohingegen die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur dann erfolgen soll, wenn der Fall rechtlich und tatsächlich so schwierig gelagert ist, dass die Interessenwahrnehmung durch einen Rechtsanwalt geboten erscheint. Nur dann, wenn diese engen Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts vorliegen, ist sie gegenüber der Bestellung eines Verfahrenspflegers vorrangig[6]. Mit diesen eindeutigen Intentionen des Gesetzgebers ist es nicht zu vereinbaren, aus den §§ 276 Abs. 5, 317 Abs. 5 FamFG auch im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe einen Vorrang der Anwaltsvertretung vor der Verfahrenspflegerbestellung herzuleiten oder wegen der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen und dessen typischerweise eingeschränkten subjektiven Fähigkeiten zur Interessenwahrnehmung in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Beiordnung eines Rechtsanwalts auszugehen.

Gemessen daran kam im vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Betroffene nicht in Betracht.

Das Verfahren lässt keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten erkennen. Aufwändige tatsächliche Ermittlungen waren nicht zu erwarten und sind vom Amtsgericht auch nicht durchgeführt worden. Für die Annahme, dass der bisherige Betreuer aus wichtigem Grund gemäß § 1908 b Abs. 1 BGB aF etwa wegen Pflichtwidrigkeit oder fehlender Eignung hätte entlassen werden müssen, hatten sich bereits keine genügenden tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben, an die weitere Ermittlungen des Gerichts hätten anknüpfen könnten. Bei der hier allein in Betracht kommenden Entlassung des bisherigen Betreuers auf Antrag der Betreuten (§ 1908 b Abs. 3 BGB aF) waren tatrichterliche Ermittlungen im Wesentlichen nur zu der Frage veranlasst, ob der Wunsch der ehemaligen Betroffenen nach der Bestellung eines neuen Berufsbetreuers auf einer ernsthaften und auf Dauer angelegten eigenständigen Willensbildung beruhte und unabhängig vom Einfluss Dritter zustande gekommen war[7]. Selbst wenn man hier die krankheitsbedingt eingeschränkten subjektiven Fähigkeiten der ehemaligen Betroffenen zur schriftlichen und mündlichen Kommunikation berücksichtigt, erscheint angesichts des eher einfach gelagerten Sachverhalts die Wahrnehmung ihrer Interessen durch einen Verfahrenspfleger ausreichend, und zwar selbst dann, wenn dieser nicht über eine juristische Ausbildung verfügt hätte. Auch die Bedeutung des Verfahrens für die ehemalige Betroffene gebietet keine andere Beurteilung. Denn die Entscheidung über den Wechsel des Berufsbetreuers während einer laufenden Betreuung zumal nur knapp zwei Jahre vor dem Ablauf der Überprüfungsfrist ist schon nicht mit einem vergleichbar schweren Eingriff in die Rechte des Betreuten verbunden wie es beispielsweise bei einer Entscheidung über die erstmalige Bestellung eines Betreuers oder über die (Nicht)Aufhebung einer Betreuung der Fall wäre.

Ergeben sich somit mangels Entscheidungserheblichkeit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die in einer höchstrichterlichen Entscheidung geklärt werden könnten, kommt es für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an[8]. Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde hat indessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juni 2023 – XII ZA 2/23

  1. vgl. BVerwG NVwZ-RR 1989, 665, 666 zu § 188 VwGO[]
  2. vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.01.2016 XII ZB 639/14 FamRZ 2016, 531 Rn. 12; und vom 13.06.2012 XII ZB 218/11 FamRZ 2012, 1290 Rn. 14 mwN[]
  3. vgl. auch Prütting/Helms/Dürbeck FamFG 6. Aufl. § 78 Rn. 6[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.01.2016 XII ZB 639/14 FamRZ 2016, 531 Rn. 12 und BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 24 f.[]
  5. vgl. BGH, Beschluss BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 18[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 214[]
  7. vgl. BayObLG FamRZ 2005, 548; MünchKomm-BGB/Schneider 8. Aufl. § 1908 b Rn. 25[]
  8. vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.03.2019 XII ZB 544/18 FamRZ 2019, 1045 Rn. 10; und vom 24.04.2013 XII ZR 159/12 FamRZ 2013, 1199 Rn. 9[]