Betreuungsverfahren und die erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren

Von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren sind in der Regel neue Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfahren nicht mehr festhält[1].

Betreuungsverfahren und die erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind[2].

Dabei war im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall eine Anhörung durch das Beschwerdegericht freilich nicht schon deshalb geboten, weil das Amtsgericht die Betroffene vor der Erweiterung des Aufgabenkreises auf die Vermögenssorge nicht noch einmal angehört hatte.

Nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören. Gemäß § 293 Abs. 1 FamFG gelten für die – hier im Streit stehende – Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers die Vorschriften über die Anordnung dieser Maßnahme zwar entsprechend. Nach § 293 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG bedarf es einer persönlichen Anhörung nach § 278 Abs. 1 FamFG jedoch nicht, wenn diese Verfahrenshandlung – wie hier – nicht länger als sechs Monate zurückliegt.

Die Anhörung durch das Beschwerdegericht war vorliegend jedoch deshalb erforderlich, weil von einer Anhörung durch das Beschwerdegericht zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten waren. Denn bei Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses war die Betroffene mit der Erweiterung des Aufgabenkreises auf die Vermögenssorge einverstanden. Daher brauchte das Amtsgericht insbesondere nicht zu prüfen, ob die Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage war (vgl. § 1896 Abs. 1 a BGB). Nach Eingang der Beschwerde hat sich die zu beurteilende Sachlage signifikant verändert. Dabei ist ohne Belang, dass die Betroffene offensichtlich gegenüber der Betreuungsbehörde noch ihr Einverständnis mit der Ausweitung der Bereuung auf die Vermögenssorge erklärt hat. Denn auf die Nachfrage des Gerichts, ob die Betroffene ihre Beschwerde zurücknehmen wolle, hat ihr Verfahrensbevollmächtigter ausdrücklich erklärt, dass die Beschwerde aufrecht erhalten bleibe und dass die Betroffene den Begriff der Betreuung offensichtlich nicht zutreffend verstehe.

Nunmehr wäre also zu prüfen gewesen, ob gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB der freie Wille der Betroffenen gegen eine Ausweitung der Betreuung hätte sprechen können. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Amtsgericht hinsichtlich der Erweiterung der Betreuung auf den Aufgabenkreis Vermögenssorge eine Begutachtung angeordnet hat und ausweislich des Gutachtens die Betroffene nicht mehr zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist. Denn die Einholung eines Gutachtens entbindet den Tatrichter nicht davon, sich durch eine Anhörung der Betroffenen selbst einen Eindruck davon zu verschaffen, ob der Betroffene tatsächlich nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden[3].

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. Mai 2012 – XII ZB 454/11

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16.03.2011 – XII ZB 601/10 – FamRZ 2011, 880 Rn. 16[]
  2. BGH, Beschlüsse vom 16.03.2011 – XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rn. 13; und vom 11.04.2012 – XII ZB 504/11[]
  3. BGH, Beschluss vom 16.03.2011 – XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rn. 16[]