Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt, hat jetzt der Bundesgerichtshof Stellung genommen:

Das Gericht trifft bei der Feststellung der für diese Entscheidung erforderlichen Tatsachen eine Amtsermittlungspflicht, § 26 FamFG. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen [1].
Nach § 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB hat das Betreuungsgericht einem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit [2]. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorschlag des Betroffenen, wie vom Bayerischen Obersten Landesgericht [3] gefordert, ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft sein muss. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden [4]. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet [5].
Nach § 1897 Abs. 5 Satz 1 BGB ist, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen, insbesondere auf dessen persönliche Bindungen – etwa zu eigenen Kindern – Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn der Betroffene einen Verwandten, etwa sein Kind, als Betreuer benannt hat [6]. Denn das Kind des Betroffenen wird nach Maßgabe dieser Vorschrift „erst recht“ zum Betreuer zu bestellen sein, wenn der Betroffene selbst dieses Kind ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat, mag der Betroffene auch bei der Benennung nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig gewesen sein.
In Würdigung der in § 1897 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein Kind des Betroffenen, das zum Betroffenen persönliche Bindungen unterhält und das der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten einer Bestellung seines Kindes entgegenstehen [7].
Diese rechtliche Gewichtung stellt auch an die tatrichterliche Ermittlungspflicht besondere Anforderungen. Der Tatrichter wird Gründe, die möglicherweise in der Person des vom Betroffenen als Betreuer benannten Kindes liegen, verlässlich nur feststellen können, wenn er dem Kind Gelegenheit gegeben hat, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen. Es verstößt gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung ausdrücklich die Eignung des benannten Kindes zum Betreueramt sowie die Redlichkeit des Kindes gegenüber dem Elternteil in Zweifel zieht und sich hierbei auf Mitteilungen Dritter beruft, ohne zuvor das als Betreuer vorgeschlagene Kind – bei derart gravierenden Vorwürfen sogar regelmäßig persönlich – zu den von Dritten mitgeteilten Tatsachen anzuhören. Eine solche Verfahrensweise wäre schon allgemein als Grundlage einer Betreuerauswahl, bei der ein Berufsbetreuer einem möglichen ehrenamtlichen Betreuer – aufgrund dessen angeblich fehlender Eignung und mangelnder Redlichkeit – vorgezogen wird, nicht unbedenklich (vgl. § 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB). Als tatrichterliche Basis einer Entscheidung, durch die ein Kind des Betroffenen, obschon mit diesem persönlich verbunden und von diesem wiederholt als Betreuer benannt, als Betreuer übergangen wird, kann eine solche Verfahrensweise nicht hingenommen werden.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Dezember 2010 – XII ZB 165/10
- vgl. etwa BayObLG FamRZ 1996, 1110, 111[↩]
- vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 127[↩]
- vgl. etwa BayObLG FamRZ 2005, 548; BayObLG OLGR Mün-chen 2004, 251 Rn. 15; BayObLGR 2003, 360 = BtPrax 2003, 370 Rn. 13[↩]
- MünchKommBGB/Schwab 5. Aufl. § 1897 Rn. 21[↩]
- vgl. auch BT-Drs. 11/4528 S. 127[↩]
- vgl. auch BT-Drs. 11/4528 S. 128[↩]
- vgl. BVerfGE 33, 236, 238 f.[↩]