Anhörung im Betreuungsverfahren – vor Einholung des Sachverständigengutachten

Das Beschwerdegericht ist in einer Betreuungssache verpflichtet, die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn die Anhörung in erster Instanz verfahrensfehlerhaft nur vor Erstattung des der Betreuungsanordnung zugrunde liegenden Sachverständigengutachtens durchgeführt worden ist[1].

Anhörung im Betreuungsverfahren – vor Einholung des Sachverständigengutachten

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 278 Abs. 1 FamFG besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind[2].

Das Amtsgericht hat bei seiner Anhörung zwingende Verfahrensvorschriften verletzt, weil das Sachverständigengutachten erst im Anschluss an die Anhörung erstattet worden ist und somit nicht Gegenstand der Anhörung war. Die Betroffene hatte damit nicht die Möglichkeit, sich vor ihrer Anhörung mit dem schriftlichen Gutachten auseinanderzusetzen und entsprechende Einwendungen vorzubringen. Der Hinweis des Landgerichts auf die von ihm angenommene Demenz der Betroffenen als fortschreitendes Krankheitsbild setzt das Beweisergebnis, das erst nach fehlerfreier Anhörung festzustellen ist, in unzulässiger Weise voraus.

 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Juni 2022 – XII ZB 200/21

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 21.10.2020 XII ZB 153/20 FamRZ 2021, 385[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 21.10.2020 XII ZB 153/20 FamRZ 2021, 385 Rn. 18 mwN[]