Verfahrenspfleger in Betreuungssachen

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen.

Verfahrenspfleger in Betreuungssachen

Nach § 276 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen.

Dass die Anwendung der genannten Bestimmung nicht daran scheitert, dass dem Betroffenen einzelne Befugnisse verbleiben sollen, zeigt sich daran, dass sie auch dann ausdrücklich anwendbar ist, wenn die Gegenstände der Verfahren nach § 1896 Abs. 4 BGB (Fernmeldeverkehr und Post) sowie § 1905 BGB (Sterilisation) nicht von der Betreuung umfasst werden. Auch dass die Bestellung sich wörtlich auf alle Angelegenheiten bezieht, ist für die Verfahrenspflegerbestellung nach § 276 FamFG nicht erforderlich[1]. Das gilt schon deswegen, weil für den verfahrensrechtlichen Schutz des Betroffenen nicht darauf abzustellen ist, welche Maßnahme vom Gericht schließlich getroffen wird, sondern auf den Umfang des Verfahrensgegenstands[2]. Des weiteren kann sich eine Betreuung für alle Angelegenheiten aber auch – insbesondere bei einer sukzessiven Erweiterung der Aufgabenkreise – aus einer Zusammenschau mehrerer gerichtlicher Maßnahmen ergeben.
Unter Beachtung des Schutzzwecks des § 276 FamFG ist demnach vielmehr entscheidend, dass der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer umfassenden Betreuung als möglich erscheinen lässt. Auf die das Verfahren auslösenden Anregungen an das Gericht und ihren Umfang kommt es nicht an, weil diese den Verfahrensgegenstand nicht beschränken. Für einen umfassenden Verfahrensgegenstand spricht vielmehr, dass die schließlich von der Betreuung erfassten Aufgabenkreise in ihrer Gesamtheit im Einzelfall alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und somit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich auch einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung des Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum mehr belassen.

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel des § 276 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt. Die schließlich angeordnete Betreuung umfasst sämtliche Vermögensangelegenheiten, die Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltsbestimmung und die Wohnungsangelegenheiten. Daraus ergibt sich, dass die Betreuerin in allen wesentlichen Bereichen maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung des Betroffenen hat und sich damit jedenfalls der Verfahrensgegenstand auf alle Angelegenheiten im Sinne des § 276 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FamFG bezieht.

Gleichwohl kann nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG unter den oben aufgeführten Voraussetzungen im Einzelfall von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden. Eine Verfahrenspflegschaft ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers, die der mit § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG übereinstimmenden Vorschrift des § 67 Abs. 1 Satz 3 FGG (a.F.) zugrunde lagen, (nur) dann nicht anzuordnen, wenn die Verfahrenspflegerbestellung „einen rein formalen Charakter hätte“[3].

Ob es sich hier um einen Ausnahmefall im Sinne dieser Umschreibung handelt, ist aufgrund der nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses ist indessen unzureichend. Dass der vor dem Landgericht nicht anwaltlich vertretene Betroffene seine Interessen habe selbständig wahrnehmen können, erscheint aufgrund des bei ihm vorliegenden Krankheitsbilds und seiner mangelnden Krankheitseinsicht fernliegend. Dass es sich nur um eine unwesentliche Erweiterung der Aufgabenkreise des Betreuers handele, entbehrt schon in Anbetracht der zentralen Bedeutung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Grundlage. Demnach genügt die Begründung des Landgerichts nicht den Anforderungen des § 276 Abs. 2 FamFG und trägt die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 4. August 2010 – XII ZB 167/10

  1. zur anders gelagerten Frage des Wahlrechtsausschlusses – etwa gemäß § 13 BWahlG – vgl. LG Zweibrücken BtPrax 1999, 244; VG Saarland BtPrax 2009, 254[]
  2. Prütting/Helms/Fröschle FamFG § 276 Rdn. 37 m.w.N.[]
  3. BT-Drs. 13/7158 S. 36; vgl. Keidel/Kayser Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 67 Rdn. 12[]