Der bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen abwesende Verfahrenspfleger

Aus der zum 1.01.2023 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG folgt keine Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers im Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen eines Betreuungsverfahrens. Hat das Gericht den Verfahrenspfleger von der beabsichtigten Anhörung des Betroffenen in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit gegeben, an dem Anhörungstermin teilzunehmen, ist die Anhörung nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verfahrenspfleger von einer Teilnahme an diesem Termin abgesehen hat.

Der bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen abwesende Verfahrenspfleger

Nach der gemäß § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch im Verlängerungsverfahren anzuwendenden Vorschrift des § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und dessen Wünsche zu erfragen. Diese Anhörung soll zwar gemäß § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG in Anwesenheit des Verfahrenspflegers stattfinden, wenn das Gericht dem Betroffenen einen solchen bestellt hat. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt aus der letztgenannten Vorschrift jedoch nicht, dass die Anhörung an einem Verfahrensfehler leidet, wenn der Verfahrenspfleger von einer Teilnahme am Anhörungstermin abgesehen hat.

Bereits nach der zur bis zum 31.12.2022 geltenden Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs musste das Betreuungsgericht durch die Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen konnte. Diese Notwendigkeit hat der Bundesgerichtshof aus dem Umstand hergeleitet, dass der gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG bestellte Verfahrenspfleger die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten soll und daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen beteiligt werden muss. Zudem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu[1]. Erfolgte die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, war sie verfahrensfehlerhaft und verletzte den Betroffenen in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG[2].

Der rechtzeitig vom Anhörungstermin unterrichtete Verfahrenspfleger konnte allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt[3]. Fand die Anhörung des Betroffenen in Abwesenheit des Verfahrenspflegers statt, ohne dass dieser dagegen Bedenken äußerte, stellte dies keinen Verfahrensfehler dar[4]. Nur im Falle einer unfreiwilligen Abwesenheit des Verfahrenspflegers war die Anhörung in der Regel verfahrensfehlerhaft[5].

An diesen Grundsätzen hat sich durch die zum 1.01.2023 in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.2021[6] nichts Wesentliches geändert.

Dem Gesetzeswortlaut ist lediglich zu entnehmen, dass die Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit des Verfahrenspflegers erfolgen soll, nicht aber, dass der Verfahrenspfleger zwingend bei der Anhörung anwesend sein bzw. andernfalls Gründe für sein Fernbleiben benennen müsste. Auch die Gesetzesbegründung[7] bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass durch die Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG eine Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers begründet werden sollte. Darin ist ausgeführt: „Durch den neuen Satz 3 wird ausdrücklich geregelt, dass bei Bestellung eines Verfahrenspflegers die Anhörung des Betroffenen in dessen Anwesenheit durchgeführt werden soll. Dies entspricht der Regelung in § 159 Absatz 4 Satz 3 FamFG für die Kindesanhörung in Kindschaftssachen.“ Zur Vorschrift des § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG wird einhellig die Auffassung vertreten, dass diese zwar ein Anwesenheitsrecht des Verfahrensbeistands in Kindschaftsverfahren vorsieht, aber keine Anwesenheitspflicht begründet[8].

Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers bei der Anhörung des Betroffenen in einem Betreuungsverfahren hat normieren und insoweit etwas an der bis zum 31.12.2022 geltenden Rechtslage hat ändern wollen[9]. Hätte er in Betreuungssachen – anders als in Kindschaftssachen – die Einführung einer Anwesenheitspflicht beabsichtigt, hätte es nahegelegen, dies eindeutig zu erkennen zu geben. Dieses Verständnis entspricht ersichtlich auch der Auffassung im Schrifttum[10].

Soweit vereinzelt vertreten wird, aus dem Sinn und Zweck der Verfahrenspflegerbestellung sei zu folgern, dass die persönliche Anhörung des Betroffenen seit dem 1.01.2023 in der Regel im Beisein des Verfahrenspflegers zu erfolgen habe und nur ausnahmsweise – unter Darlegung der Gründe für die Annahme eines Ausnahmefalles – von einer Anwesenheit des Verfahrenspflegers abgesehen werde könne, weshalb es nicht mehr ausreichend sei, dass das Betreuungsgericht dem Verfahrenspfleger lediglich eine Möglichkeit zur Teilnahme verschaffe[11], kann dem nicht zugestimmt werden. Der Verfahrenspfleger hat grundsätzlich in eigener Verantwortung darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen zur sachgerechten Wahrnehmung seines Amtes erforderlich sind und ob er bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen anwesend sein möchte[12]. Im Übrigen hat das Betreuungsgericht keine Möglichkeit, den Verfahrenspfleger zur Teilnahme an der Anhörung des Betroffenen zu verpflichten[13].

Durch die Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG wurde somit lediglich – der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend – klargestellt, dass das Gericht den Betroffenen grundsätzlich in Anwesenheit des Verfahrenspflegers anhören soll und der Verfahrenspfleger deswegen Gelegenheit haben muss, an der Anhörung teilzunehmen. Dagegen ist die Vorschrift nicht dahin zu verstehen, dass ein vom Anhörungstermin benachrichtigter Verfahrenspfleger zur Anwesenheit im Termin verpflichtet wäre oder im Falle seines Fernbleibens Entschuldigungsgründe hierfür vorzubringen hätte.

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht im Beschwerdeverfahren den Vorgaben des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG Rechnung getragen. Es hat den Verfahrenspfleger durch Übersendung einer Terminsmitteilung über die beabsichtigte Anhörung der Betroffenen in Kenntnis gesetzt. Damit hat es ihm Gelegenheit gegeben, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Der Verfahrenspfleger hat in Kenntnis dieses Termins von einer Teilnahme abgesehen. Anhaltspunkte dafür, dass er unfreiwillig abwesend gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich, sodass die Anhörung der Betroffenen durch das Landgericht verfahrensordnungsgemäß erfolgt ist.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. August 2025 – XII ZB 140/25

  1. vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.05.2022 – XII ZB 129/21 , FamRZ 2022, 1225 Rn. 16; und vom 21.06.2017 – XII ZB 45/17 , FamRZ 2017, 1610 Rn. 11[]
  2. BGH, Beschluss vom 21.06.2017 – XII ZB 45/17 , FamRZ 2017, 1610 Rn. 11[]
  3. BGH, Beschluss vom 11.05.2022 – XII ZB 129/21 , FamRZ 2022, 1225 Rn. 17; vgl. auch BGH, Beschluss vom 01.02.2023 – XII ZB 166/21 , FamRZ 2023, 639 Rn. 9 mwN, zu Unterbringungsverfahren[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2022 – XII ZB 129/21 , FamRZ 2022, 1225 Rn. 17[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2023 – XII ZB 166/21, FamRZ 2023, 639 Rn. 10 mwN, zu Unterbringungsverfahren[]
  6. BGBl. I S. 882, 914[]
  7. vgl. BT-Drs.19/24445 S. 332[]
  8. vgl. Dutta/Jacoby/Schwab/Lack FamFG 4. Aufl. § 159 Rn. 40; MünchKommFamFG/Schumann 4. Aufl. § 159 Rn. 41; Musielak/Borth/Frank/Frank FamFG 7. Aufl. § 159 Rn. 14; Sternal/Schäder FamFG 21. Aufl. § 159 Rn. 27; jeweils unter Hinweis auf BVerfG FamRZ 2020, 1579 Rn. 16; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 18.07.2012 – XII ZB 661/11 , FamRZ 2012, 1556 Rn. 14 und BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 45[]
  9. so auch Jesgarzewski NJW 2025, 909, 910[]
  10. vgl. BeckOGK/von Massenbach [Stand: 1.06.2025] FamFG § 278 Rn. 76, 78; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1.06.2025] § 278 Rn. 7; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 8. Aufl. § 278 FamFG Rn. 8; Sternal/Giers FamFG 21. Aufl. § 278 Rn.19[]
  11. vgl. LG Lübeck NJW 2025, 906, 908 f. zur ebenfalls zum 1.01.2023 in Kraft getretenen Vorschrift des § 319 Abs. 2 Satz 2 FamFG[]
  12. Jesgarzewski NJW 2025, 909, 910[]
  13. vgl. BVerfG FamRZ 2020, 1579 Rn. 16 zu § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG[]