Die stationäre Einrichtung – und die Betreuervergütung

Bei Einrichtungen, die den Begriff eines Heims im Sinne des früheren Heimgesetzes erfüllen, sind die Kriterien einer stationären Einrichtung im vergütungsrechtlichen Sinne stets als gegeben anzusehen. In anderen Fällen liegt eine solche stationäre Einrichtung dann vor, wenn die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen[1].

Die stationäre Einrichtung – und die Betreuervergütung

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall lebt der mittellose Betroffene aufgrundlage eines Vertrages „für besondere Wohnformen gem. § 42 a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB XII in der Eingliederungshilfe“ in einer Wohnstätte. Nach dem Vertragsinhalt stellt der Betreiber der Einrichtung Wohnraum in einer Wohngruppe, Mitbenutzung von Gemeinschaftsräumen, Vollverpflegung, Grundreinigung des Zimmers und Säuberung von Bett- und Privatwäsche zur Verfügung und erbringt einfachste Behandlungspflege. Im Bedarfsfall wird unter Beachtung der freien Arztwahl ärztliche Hilfe vermittelt, wobei die ärztlichen Leistungen nicht Bestandteil des Vertrages sind. Als Fachleistungen erbringt er Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX, Beratung, Bildung und Erziehung sowie Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 81 SGB IX.  Die Berufsbetreuerin hat die Festsetzung ihrer Betreuervergütung für den Zeitraum vom 27.02.bis zum 26.05.2023 in Höhe von insgesamt 513 € beantragt. Dem hat sie zugrunde gelegt, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in einer ambulant betreuten Wohnform habe, die einer stationären Einrichtung nicht gleichgestellt sei.

Das Amtsgericht Essen hat unter der Annahme, dass der Betroffene seinen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung habe, eine Vergütung in Höhe von 306 € für den Zeitraum festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen[2], das Landgericht Essen hat die zugelassene Beschwerde der Betreuerin zurückgewiesen[3]. Und der Bundesgerichtshof hat nun auch die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen; das Landgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung habe und sich der Vergütungsanspruch der Betreuerin daher nach den §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 1 VBVG i.V.m. C5.01.1 der Anlage zu § 8 Abs. 1 VBVG richte. 

§ 9 Abs. 3 Satz 1 VBVG unterscheidet in Bezug auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Betreuten zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach § 9 Abs. 3 Satz 3 VBVG gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits. Stationäre Einrichtungen sind nach § 9 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 1 VBVG solche, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Das entspricht der Definition des früheren § 5 Abs. 3 VBVG, die mit Wirkung vom 01.01.2023 durch § 9 Abs. 3 VBVG wortlautgleich übernommen wurde[4].

Die Vorgängerregelung des § 5 Abs. 3 VBVG aF war durch das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22.06.2019[5] eingeführt worden, um anhand eines griffigen, ohne erheblichen Aufwand feststellbaren Kriteriums Unterschiede im Betreuungsaufwand zu erfassen, nachdem sich einhergehend mit einem gewandelten Selbstverständnis von pflegebedürftigen Personen, von Menschen mit Behinderungen und den gesellschaftlichen Zielen von Teilhabe und Selbstbestimmung eine Vielzahl von ambulant betreuten Wohnformen herausgebildet hatte[6].

Dabei wurde zum einen der Begriff „Heim“ aus der bis zum 26.04.2019 geltenden Fassung des § 5 Abs. 3 VBVG durch den Begriff „stationäre Einrichtung“ ersetzt und so sprachlich an die Terminologie angepasst, die in den an die Stelle des Heimgesetzes getretenen Landesgesetzen und im Leistungserbringungsrecht üblich sei. Eine inhaltliche Änderung war nach dem Willen des Gesetzgebers damit nicht verbunden. Ab dem Jahr 2020 sollten darunter auch die Wohnformen nach § 42 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII fallen, die an die Stelle der bis 2019 bestehenden stationären Einrichtungen in der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII träten. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sollten so weiterhin ihre Gültigkeit behalten. Lediglich hinsichtlich der Zweckbestimmung sollten die Weiterentwicklungen im Heimaufsichtsrecht der Länder insofern aufgenommen werden, als darin nicht mehr, wie noch im Heimgesetz, auf ein Angebot von Verpflegung abgestellt werde, sondern allgemein auf das Angebot von Pflege- oder Betreuungsleistungen. Es sei sachgerecht, auch im Betreuervergütungsrecht auf diese Weise der Ausdifferenzierung der Betreuungsangebote seit Inkrafttreten des Heimgesetzes 1976 Rechnung zu tragen. Denn der Aufwand für die rechtliche Betreuung werde nicht maßgebend dadurch bestimmt, ob vorgefertigte Verpflegung angeboten werde oder nicht. Insbesondere berücksichtige dies Angebote aus der Behindertenhilfe nicht, bei denen die Bewohner im Sinne einer selbstbestimmten Lebensführung an eine Selbstversorgung herangeführt werden sollten, dies aber unter umfassender Hilfestellung und Beaufsichtigung erfolge[7].

Ob eine Einrichtung den Begriff einer stationären Einrichtung im vergütungsrechtlichen Sinne erfüllt, richtet sich somit nach den in § 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VBVG aufgeführten Kriterien, wobei diese in Einrichtungen, die den Begriff eines Heims im Sinne des früheren Heimgesetzes erfüllen, stets als gegeben anzusehen sind.

Zum anderen sollten, unter Berücksichtigung der Weiterentwicklungen im Heimaufsichtsrecht, die Verengung auf den Heimbegriff aufgegeben und bestimmte ambulante Wohnformen durch § 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG einbezogen werden. Da die diesbezüglichen Regelungen jedoch lediglich dazu dienten, die pauschalierten Zeitansätze festzulegen, und diese daher in der Praxis handhabbar bleiben mussten, wurde die Anwendung der reduzierten Zeitansätze lediglich auf solche ambulant betreuten Wohnformen ausgedehnt, die sich entweder durch eine permanente Präsenz oder durch eine ständige Erreichbarkeit (zum Beispiel in Form einer Nacht- und Rufbereitschaft) professioneller Pflege- oder Betreuungskräfte auszeichneten. Mit der Erweiterung auf „gleichgestellte“ Wohnformen sollten bestimmte ambulant betreute Wohnformen typisierend erfasst werden, bei denen aus strukturellen Gründen der Aufwand für die rechtliche Betreuung dem Aufwand für Betreute in stationären Einrichtungen gleicht[6].

Dabei sei die Überlegung, bestimmte Formen des ambulant betreuten Wohnens den stationären Einrichtungen gleichzustellen, daran auszurichten, ob die angebotenen Pflege- oder Betreuungsleistungen durch einen professionellen Organisationsapparat getragen seien und eine Verantwortungsgarantie – wie in einer stationären Einrichtung – des Trägers begründeten. Dies setze voraus, dass von den Bewohnern keine Auswahlentscheidungen darüber zu treffen seien, von welchem Anbieter die externen Pflege- oder Betreuungsleistungen in Anspruch genommen würden, und zudem gewährleistet sei, dass der Leistungsanbieter Änderungen im Versorgungsbedarf der Bewohner erkenne und abdecke. Daher würden nur solche ambulant betreuten Wohnformen stationären Einrichtungen gleichgestellt, in denen der Anbieter der Pflege- oder Betreuungsleistungen nicht frei wählbar sei und in denen eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder – in der Behindertenhilfe – durch professionelle Betreuungskräfte vorgehalten werde. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistungen durch den Betroffenen komme es nicht an[8].

 Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 9 Abs. 3 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zu Hause oder in einer stationären Einrichtung bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt, ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen[9].

Gemessen hieran hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung hat.

Die Einrichtung dient unzweifelhaft dem Zweck, Volljährige aufzunehmen und ihnen Wohnraum zu überlassen. Sie ist in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig und wird entgeltlich betrieben. Ebenfalls dient die Einrichtung dem Zweck, tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten.

Nach den in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Motiven sollte der Terminus „tatsächliche Betreuung oder Pflege“ keine engeren Voraussetzungen festlegen als der frühere heimaufsichtsrechtliche Begriff „tatsächliche Betreuung“. Dies folgt zum einen schon daraus, dass die zum Heimgesetz entwickelten Grundsätze ausdrücklich weiterhin Gültigkeit behalten sollten. Zum anderen knüpfen die in der Vergütungsvorschrift verwendeten Begriffe „Betreuung“ und „Pflege“ nicht an verschieden zu erbringende Sachleistungen an, sondern sind aus den für die jeweiligen Einrichtungsformen verwendeten Begrifflichkeiten abgeleitet. Mit dem Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22.06.2019[5] sollten bestimmte Wohnformen der Eingliederungshilfe in den Geltungsbereich des § 5 Abs. 3 VBVG aF einbezogen werden. Unter deren Einschluss spricht die Gesetzesbegründung von der Vorhaltung einer „Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder – in der Behindertenhilfe – durch professionelle Betreuungskräfte“[8]. Damit korrespondiert der in den Gesetzestext aufgenommene Terminus „Betreuung oder Pflege“. Diesem kann keine weitergehende Bedeutung unterlegt werden als schlicht sprachlich aufzugreifen, dass die tatsächlichen Bedürfnisse des Betreuten je nach Art der Einrichtung entweder durch Pflegekräfte als „Pflege“ oder durch Betreuungskräfte als „Betreuung“ wahrgenommen werden, ohne dass darin ein qualitativer Unterschied in Bezug auf die Entlastung des Betreuers bestünde. Ohnehin umfasst der Begriff der „Betreuung“ im wohn- und teilhaberechtlichen Sinne als Oberbegriff sowohl die Pflege im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch als auch die soziale Betreuung[10].

Ob die in der Einrichtung angebotenen Leistungen den Begriff der „tatsächliche Betreuung oder Pflege“ erfüllen, ist nach dem Sinn und Zweck der Vergütungsregelungen für berufsmäßige Betreuer zu beurteilen. Diesen liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zu Hause oder in einer stationären Einrichtung bzw. in einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform lebt[11]. Dabei ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen[12]. Sinn und Zweck der Vergütungsregelung im Fall einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung bzw. in einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform ist es demnach widerzuspiegeln, dass ein Betreuer einen geringeren Aufwand hat, wenn er sich nicht mehr um die täglichen Verrichtungen des Betreuten – ob sozial oder pflegerisch – bemühen muss.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Danach werden die tatsächlichen Betreuungsbedürfnisse des Betroffenen durch einen professionellen Organisationsapparat des Einrichtungsträgers als Rund-um-die-Uhr-Versorgung zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird vorliegend sogar eine Verantwortungsgarantie in der Form übernommen, dass bei einer Änderung des Betreuungsbedarfs des Betroffenen eine entsprechende Anpassung der Leistungen angeboten oder, sollte der Betroffene so pflegebedürftig werden, dass die Pflege in der gemeinschaftlichen Wohnform nicht mehr sichergestellt ist, auf einen Umzug in eine geeignete Einrichtung hingewirkt wird.

Soweit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.06.2021[13] etwas anderes entnommen werden könnte, hält der Bundesgerichtshof daran nicht fest.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. Juli 2024 – XII ZB 117/24

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 02.06.2021 – XII ZB 582/20 – MDR 2021, 1294[]
  2. AG Essen, Beschluss vom 05.09.2023 – 73 XVII 1184/12[]
  3. LG Essen, Beschluss vom 09.02.2024 – 7 T 359/23[]
  4. vgl. BT-Drs.19/24445 S. 395[]
  5. BGBl. I S. 866[][]
  6. BT-Drs.19/8694 S. 28[][]
  7. BT-Drs.19/8694 S. 28 f.[]
  8. BT-Drs.19/8694 S. 29[][]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 02.06.2021 – XII ZB 582/20 – MDR 2021, 1294 Rn. 13 mwN[]
  10. Toussaint/Felix Kostenrecht § 9 VBVG Rn. 46; Lipp/Ohrt BtPrax 2005, 209, 211; ebenso § 3 Abs. 1 Satz 1 des Wohn- und Teilhabegesetzes [WTG] NRW vom 02.10.2014 [GV S. 625][]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 02.06.2021 – XII ZB 582/20 – MDR 2021, 1294 Rn. 11 mwN zu § 5 Abs. 3 VBVG aF[]
  12. BGH, Beschluss vom 02.06.2021 – XII ZB 582/20 MDR 2021, 1294 Rn. 13 mwN[]
  13. BGH, Beschluss vom 16.07.2021 – XII ZB 46/21, MDR 2021, 1157 Rn. 14[]