Wenn das Sachverständigengutachten erst im Anhörungstermin ausgehändigt wird

Es ist verfahrensfehlerhaft, wenn der Betroffenen das in dem Betreuungsverfahren zu erstellende Sachverständigengutachten erst im Termin zur persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht übergeben wird.

Wenn das Sachverständigengutachten erst im Anhörungstermin ausgehändigt wird

In diesem Fall darf das Landgericht im Beschwerdeverfahren auch nicht von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen.

Die Verwertung des Sachverständigengutachtens durch das Amtsgericht als Entscheidungsgrundlage verstößt in einem solchen Fall gegen § 37 Abs. 2 FamFG und verletzt den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 FamFG erfordert, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt voraus, dass der Betroffene – vom hier nicht vorliegenden Ausnahmefall des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen – vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu in der persönlichen Anhörung zu äußern. Diesen Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Verfahren nicht, weil das Sachverständigengutachten der Betroffenen erst in der am Tag des Beschlusserlasses erfolgten persönlichen Anhörung vom 26.02.2020 ausgehändigt worden ist[1].

Der darin zugleich liegende Mangel der gemäß § 319 Abs. 1 FamFG erforderlichen persönlichen Anhörung der Betroffenen wird auch im Beschwerdeverfahren nicht behoben, wenn das Landgericht verfahrensfehlerhaft gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen absieht.

Im hier entschiedenen Fall hat das Amtsgericht die Betroffene im Abhilfeverfahren zwar nochmals angehört. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese nicht mehr zum erstinstanzlichen Rechtszug gehörende[2], nach Erlass der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung erfolgende Verfahrenshandlung des Amtsgerichts dessen Verfahrensfehler zu heilen geeignet ist, ist die Anhörung aber nicht persönlich, sondern telefonisch vorgenommen worden. Der vom Amtsgericht insoweit bemühte Hinweis auf die allgemeinen Gefahren der Corona-Pandemie ist bereits im Ansatz nicht geeignet, eine Ausnahme vom Erfordernis der persönlichen Anhörung zu rechtfertigen[3]. Das Landgericht war mithin entgegen seiner Auffassung gemäß §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 319 Abs. 1 FamFG verpflichtet, die Anhörung erneut vorzunehmen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – XII ZB 183/20

  1. vgl. BGH, Beschlüsse vom 12.08.2020 – XII ZB 204/20 12 f.; und vom 06.04.2016 – XII ZB 397/15 , FamRZ 2016, 1148 Rn. 11 f.[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 17.06.2020 – XII ZB 574/19 , FamRZ 2020, 1590 Rn. 12 mwN[]
  3. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14.10.2020 – XII ZB 235/20[]