Verlängerung der Betreuung – und die verspätete Anhörung des Betroffenen

Verschafft sich das Amtsgericht in einem Verfahren über die Verlängerung einer Betreuung den nach § 295 Abs. 1 Satz 1 iVm § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG zwingend erforderlichen persönlichen Eindruck von einem Betroffenen erstmals im Abhilfeverfahren, darf das Landgericht nicht von dieser auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen Verfahrenshandlung absehen[1].

Verlängerung der Betreuung – und die verspätete Anhörung des Betroffenen

Nach § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend. Deshalb ist das Gericht auch in einem Verlängerungsverfahren gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG gehalten, vor seiner Entscheidung den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen[2]. Dies gilt nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren[3].

Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Landgericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von der Durchführung dieser Verfahrenshandlungen abzusehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Verfahrenshandlungen bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen wurden und von ihrer erneuten Durchführung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind[4].

Gemessen daran ist die hier angefochtene Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe[5] verfahrensfehlerhaft ergangen:

Das Landgericht hat von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen unter Hinweis darauf abgesehen, dass sie ausweislich des im Ausgangsverfahren eingeholten Gutachtens aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht persönlich angehört werden könne und der Inhalt ihres Willens durch eine Anhörung nicht feststellbar sei. Zwar kann nach § 34 Abs. 2 FamFG eine persönliche Anhörung unterbleiben, wenn ein Beteiligter offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun[6]. Ob diese Voraussetzungen hier vorgelegen haben, kann aber dahinstehen. Denn auch in diesem Fall wäre das Landgericht verpflichtet gewesen, sich jedenfalls einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen[7]. Dies hat es indessen nicht getan.

Hiervon durfte das Landgericht auch nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen. Denn die erstinstanzliche Entscheidung litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil sich das Amtsgericht entgegen § 295 Abs. 1 Satz 1 iVm § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG nicht vor seiner Entscheidung einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen verschafft hat. Zwar hat das Amtsgericht dies im Abhilfeverfahren nachgeholt. Dadurch konnte der Mangel jedoch nicht geheilt werden. Denn wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, kann eine gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG erstinstanzlich unterbliebene Anhörung eines Betroffenen im Abhilfeverfahren regelmäßig weder geheilt noch nachgeholt werden[8]. Nichts anderes gilt, wenn sich das Amtsgericht wie hier in einem Verfahren über die Verlängerung einer Betreuung den nach § 295 Abs. 1 Satz 1 iVm § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG zwingend erforderlichen persönlichen Eindruck von einem Betroffenen erstmals im Abhilfeverfahren verschafft.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Februar 2022 – XII ZB 424/21

  1. Fortführung von BGH, Beschluss vom 22.09.2021 XII ZB 93/21 , FamRZ 2022, 135[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2016 XII ZB 269/16 FamRZ 2016, 2093 Rn. 10[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2020 XII ZB 199/20 FamRZ 2021, 222 Rn. 15[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 04.12.2019 XII ZB 392/19 NJW 2020, 852 Rn. 5 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14.10.2020 XII ZB 199/20 FamRZ 2021, 222 Rn. 18[]
  5. LG Karlsruhe, Beschluss vom 09.08.2021 – 11 T 56/21[]
  6. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 06.10.2021 XII ZB 205/20 FamRZ 2022, 227 Rn. 10 mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 04.11.2020 XII ZB 344/20 FamRZ 2021, 224 Rn. 10[]
  8. BGH, Beschluss vom 22.09.2021 XII ZB 93/21 FamRZ 2022, 135 Rn. 14[]