Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt[1]. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die beabsichtigte Entscheidung dem natürlichen Willen des Betroffenen entspricht.

Nach § 276 Abs. 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn der Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist.
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse den Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen[2].
Danach ist im vorliegenden Fall das Regelbeispiel des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG erfüllt. Die angeordnete Betreuung umfasst die Aufgabenkreise der vermögensrechtlichen Angelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung einschließlich Entscheidung über Unterbringung oder freiheitsbeschränkende Maßnahmen, Abschluss eines Heimvertrages und Vertretung gegenüber Heimen, Gesundheitsfürsorge einschließlich Einwilligung in ärztliche Untersuchungen, Heilbehandlungen und Eingriffe, Widerruf von bestehenden Vollmachten und Entscheidung über den Fernmeldeverkehr und über die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten von Post. Dies hat zur Folge, dass der Betreuer in allen wesentlichen Bereichen Wohnungsangelegenheiten haben für den Betroffenen keine eigenständige Bedeutung mehr – maßgeblichen Einfluss auf die Lebensgestaltung des Betroffenen hat, so dass der Verfahrensgegenstand alle Angelegenheiten im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG betrifft.
Da die Interessen des Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wurden (vgl. § 276 Abs. 4 FamFG), konnte nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden. Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte[3]. Ob es sich um einen Ausnahmefall im Sinne dieser Umschreibung handelt, ist aufgrund der nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen.
Der angefochtene Beschluss begründet das Absehen von der Bestellung eines Verfahrenspflegers damit, dass ein Interesse des Betroffenen daran nicht bestehe, nachdem die Beschwerdeentscheidung seinem geäußerten Willen entspreche. Diese Erwägung wird der Bedeutung der Vorschriften jedoch nicht gerecht und ist ermessensfehlerhaft. Denn nach den vom Landgericht referierten gutachterlichen Feststellungen ist der Betroffene zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage. Kann er demnach seine Interessen selbst nicht mehr angemessen wahrnehmen, entspricht es gerade der Funktion des Verfahrenspflegers, aus objektiver Sicht eines Dritten dafür Sorge zu tragen, dass die Vorstellungen und Interessen des Betroffenen in dem Verfahren zur Geltung gebracht werden[4]. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der Beschluss entspreche dem natürlichen Willen des Betroffenen, beschreibt lediglich eine vermeintliche Übereinstimmung mit dessen Interessen, die der Verfahrenspfleger zur Geltung zu bringen hat.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. August 2013 – XII ZB 223/13
- im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 28.09.2011 – XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866; und vom 04.08.2010 – XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 28.09.2011 – XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rn. 9; und vom 04.08.2010 – XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rn. 13[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 28.09.2011 – XII ZB 16/11, FamRZ 2011, 1866 Rn. 13; und vom 04.08.2010 – XII ZB 167/10, FamRZ 2010, 1648 Rn. 15[↩]
- Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 276 Rn. 2[↩]