Zum Absehen des Landgerichts von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen in einem Betreuungsverfahren hat jetzt erneut der Bundesgerichtshof Stellung genommen:

Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Landgericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind[1].
Danach durfte das Landgericht Wuppertal[2] im vorliegenden Fall nicht ohne persönliche Anhörung der Betroffenen über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wupptertal[3] entscheiden, weil von einer erneuten Anhörung zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten waren:
Das Landgericht hat sich bei der Entscheidung über die Betreuerauswahl maßgeblich auf die Äußerungen der Betroffenen während ihrer Anhörung durch das Betreuungsgericht am 22.05.2020 gestützt und angenommen, dass die Betroffene dabei klar zum Ausdruck gebracht habe, an dem in der Vorsorgevollmacht niedergelegten Betreuerwunsch nicht mehr festhalten zu wollen und damit die Bindungswirkung des § 1897 Abs. 4 BGB entfallen sei.
Bei dieser Anhörung hat die Betroffene zwar geäußert, dass die ehemalige Bevollmächtigte ihr nicht mehr „gewogen“ und sie mit dieser nicht mehr einig sei. Zudem hat sie erklärt, dass sie mit einer Unterstützung durch diese nicht mehr einverstanden sei. Diese Erklärungen der Betroffenen könnten tatsächlich dahingehend verstanden werden, dass sie an dem in der General- und Vorsorgevollmacht vom 11.05.2017 enthaltenen Betreuerwunsch nicht mehr festhalten möchte und damit die Bindungswirkung dieses Betreuerwunsches (§ 1897 Abs. 4 BGB) entfallen ist.
Durch die Einlegung der Beschwerde und insbesondere dadurch, dass die Betroffene nur noch den Hilfsantrag zur Entscheidung stellt, mit dem sie die Bestellung der ehemaligen Bevollmächtigten zu ihrer Betreuerin erstrebt, hat sich die zu beurteilende Sachlage in der Beschwerdeinstanz jedoch signifikant verändert. Denn nun bestanden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene ihren in der Vorsorgevollmacht geäußerten Betreuerwunsch möglicherweise doch aufrechterhalten möchte. Unter diesen Umständen hätte das Landgericht durch eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen deren wirklichen Willen zur Person des Betreuers weiter aufklären müssen.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts konnte von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen auch nicht mit der Begründung abgesehen werden, der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen habe in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass die Betroffene an den in der Anhörung vom 22.05.2020 getätigten Äußerungen nicht mehr festhalte. Denn die Frage, ob die Betroffene dadurch von einem nach § 1897 Abs. 4 BGB bindenden Betreuerwunsch Abstand genommen hat, wird in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht erörtert. Für den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen bestand daher auch kein Anlass, in der Beschwerdebegründung hierzu weiteres auszuführen. Im Übrigen wird in der Beschwerdebegründung nicht nur auf den in der Vorsorgevollmacht enthaltenen Betreuerwunsch Bezug genommen, sondern es wird auch ausgeführt, dass die Betroffene zum Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens noch eine enge Beziehung zu der ehemaligen Bevollmächtigten hatte.
Die angefochtene Entscheidung konnte daher keinen Bestand haben. Sie wurde vom Bundesgerichtshof gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufgehoben und die Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückverwiesen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – XII ZB 315/20