Der Streit mit dem Ehegatten – oder: die Ungeeignetheit des Bevollmächtigten

Mit der Frage der Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten und der hierzu anzustellenden Gesamtschau des Tatrichters, wenn über den Aufenthalt eines pflegebedürftigen Betroffenen zwischen seinem Bevollmächtigten und seinem Ehegatten Uneinigkeit besteht, hatte sich erneut[1] der Bundesgerichtshof zu befassen:

Der Streit mit dem Ehegatten – oder: die Ungeeignetheit des Bevollmächtigten

Anlass hierfür bot dem Bundesgerichtshof der Fall einer 82-jährigen Betroffenen, die an einer fortgeschrittenen Parkinson- und Demenzerkrankung leidet, wegen der sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Im Jahr 2014 hatte sie ihren beiden Kindern notarielle Vorsorgevollmacht jeweils zur Alleinvertretung erteilt. Die Betroffene wurde zunächst überwiegend im Haus der Familie in G. durch ihren heute 83-jährigen Ehemann und ihren Sohn versorgt und gepflegt. Anlässlich einer Erkrankung des Ehemanns veranlasste der in W. wohnende Sohn im April 2018 ihre Aufnahme in eine dortige Pflegeeinrichtung, die sich über 200 Kilometer vom Wohnort der Ehegatten in G. entfernt befindet. Der Ehemann nahm dort nur vorübergehend seinen Aufenthalt und kehrte wieder nach G. zurück. Er besucht die Betroffene wöchentlich mehrmals mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Kinder der Betroffenen befürworten ihren Verbleib in W.

Der Ehemann verfolgt hingegen das Ziel, sie wieder bei sich zu Hause aufzunehmen oder, sollte dies nicht möglich sein, sie in einer Pflegeeinrichtung in G. unterzubringen. Hierzu hat er die Bestellung eines Betreuers, hilfsweise eines Kontrollbetreuers angeregt. Das Amtsgericht Aurich hat dies im Hinblick auf die bestehenden Vollmachten abgelehnt[2]. Das Landgericht Aurich hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Ehemanns zurückgewiesen[3]. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde, auf die der Bundesgerichtshof nun die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Aurich aufhob und die Sache an das Landgericht zurückverwies:

Das Landgericht hat – im Wesentlichen durch Bezugnahme auf die Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses – zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung gemäß § 1896 BGB lägen nicht vor. Eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht stehe der Bestellung eines Betreuers zwar dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet sei, insbesondere dann, wenn von seiner Tätigkeit eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen ausgehe. Dabei genügten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handele. Es deute indes nichts darauf hin, dass die bevollmächtigten Kinder der Betroffenen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben ungeeignet oder überfordert seien oder dass es ihnen an der nötigen Redlichkeit fehle. Dies umfasse auch ihre Entscheidung zur Auswahl einer geeigneten Pflegeeinrichtung. Die Bevollmächtigten hätten sich entschieden, die Betroffene in einer Einrichtung in W. unterzubringen, in der sie gut gepflegt und versorgt werde. Einen ausdrücklichen Wunsch, das Pflegeheim zu verlassen und wieder nach G. zu ihrem Mann oder in ein dortiges Pflegeheim zu ziehen, habe die Betroffene bei ihrer Anhörung nicht geäußert. Sie sei nur sehr eingeschränkt zur Äußerung ihres Willens in der Lage. Nach den Angaben des Pflegepersonals reagiere sie zwar grundsätzlich positiv auf die Besuche des Ehemannes, sei aber danach manchmal erschöpft und überfordert. Einer auftragsgemäßen Verwendung der Vollmacht stehe nicht entgegen, dass die Unterbringung in W. wegen der im Vergleich zu einer Unterbringung in G. geringeren Kosten und wegen der Nähe zum Wohnort des die Betroffene unterstützenden Sohnes vorteilhaft für die Bevollmächtigten sei. Auch rechtfertige allein der erhebliche Mehraufwand für die Besuche des Ehemanns nicht die Annahme einer Gefahr für das Wohl der Betroffenen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Verlegung der Betroffenen in eine Pflegeeinrichtung in G. auch mit Risiken verbunden wäre. Sie habe sich inzwischen in W. eingelebt. Zudem würde die Betroffene durch einen Umzug den sehr engen Kontakt zu ihrem Sohn verlieren.

Diese Ausführungen hielten rechtlicher Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, hat sich das Landgericht mit der Frage der Eignung der Bevollmächtigten nicht hinreichend umfassend auseinandergesetzt.

Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint[4].

Zwar entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht. Bei der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich jedoch nicht auf eine Gewichtung einzelner Umstände bzw. Vorfälle beschränken; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die gegen eine Eignung sprechen könnten[5].

Die gerichtliche Bestellung eines Betreuers bedeutet für den Betroffenen einen gewichtigen Grundrechtseingriff, weil sie dessen Entscheidungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ganz oder teilweise in den vom Gericht bestimmten Angelegenheiten einschränkt[6]. Im Gegenzug kann sich unter dem Gesichtspunkt der dem Staat obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten im Einzelfall die Notwendigkeit einer Betreuungsanordnung ergeben. So enthält Art. 6 Abs. 1 GG eine „wertentscheidende Grundsatznorm“, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern[7]. Die Ehe ist hiernach als umfassende, grundsätzlich unauflösbare Lebensgemeinschaft gewährleistet[8]. Allerdings steht auch die Gemeinschaft zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG[9].

Gemessen hieran ist die tatrichterliche Würdigung des Landgerichts Aurich nicht frei von Rechtsfehlern:

Im Ausgangspunkt zutreffend hat sich das Landgericht zwar mit denjenigen Umständen auseinandergesetzt, die gegen eine Eignung der Bevollmächtigten sprechen könnten. Dabei hat es zu Recht ihre Entscheidung in den Mittelpunkt gerückt, die Betroffene in einer Pflegeeinrichtung in W. unterzubringen und hieran entgegen dem Wunsch des Ehemanns festzuhalten. Neben der Frage, ob die Betroffene dort die benötigte Pflege und Versorgung erhält, hat das Landgericht im Rahmen der gebotenen Sachaufklärung auch einen etwaigen Willen der Betroffenen in Bezug auf ihren Aufenthalt geprüft. Gegen die insoweit getroffenen Feststellungen erinnert die Rechtsbeschwerde nichts. Darüber hinaus befasst sich die angefochtene Entscheidung mit der Frage, ob die mit der Wahl der Pflegeeinrichtung verbundenen Vorteile für die Bevollmächtigten als solche Anlass zu Zweifeln an deren Eignung geben. Wie das Landgericht im Ansatz zutreffend angenommen hat, wird ein solcher Schluss regelmäßig nicht zu ziehen sein, sofern sich die Bevollmächtigten in ihrem Handeln nicht zu Lasten der Betroffenen von ihrem Eigeninteresse leiten lassen.

Die Ausführungen des Landgerichts zur Eignung der Bevollmächtigten erweisen sich jedoch insofern als fehlerhaft, als sie dem grundrechtlichen Schutz der Ehe kein ausreichendes Gewicht beimessen. Das Landgericht hatte die von den Bevollmächtigten getroffene Entscheidung zur Auswahl einer Pflegeeinrichtung auch im Hinblick darauf zu überprüfen, ob die durch die räumliche Entfernung herbeigeführte starke Beeinträchtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft der Betroffenen und ihres Ehemanns durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt ist. In Anbetracht der zentralen Bedeutung der ehelichen Lebensgemeinschaft auch bei stationärer Behandlungsbedürftigkeit eines Ehepartners[10] kann sich deren unzureichende Berücksichtigung bei der Entscheidung über dessen Aufenthalt auch auf die Eignung des Bevollmächtigten auswirken.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich in diesem Punkt als unzureichend. Weder stellt sie fest, dass die Pflege und Versorgung der Betroffenen nicht auch in G. sichergestellt werden könnten, noch benennt sie konkret die von ihr angeführten Risiken einer Verlegung. Der Umstand, dass die Betroffene durch die Besuche des ihr seit vielen Jahren vertrauten Ehemanns bisweilen stark beansprucht wird, vermag den Eingriff in die eheliche Lebensgemeinschaft ebenfalls nicht zu begründen. Soweit die Entscheidung ergänzend auf einen durch einen Aufenthaltswechsel drohenden Verlust des engen Kontakts der Betroffenen zu ihrem Sohn verweist, stellt sie nicht zugleich fest, dass diesem Umgang eine besondere, der ehelichen Lebensgemeinschaft gegebenenfalls vergleichbare stabilisierende Wirkung für die Betroffene zukommt.

Die angefochtene Entscheidung konnte daher keinen Bestand haben. Sie war gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben, und die Sache nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Das Landgericht wird – gegebenenfalls nach weiteren Ermittlungen – erneut über die Voraussetzungen des § 1896 BGB zu befinden haben.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 164/20

  1. im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 29.04.2020 – XII ZB 242/19 , FamRZ 2020, 1300; und vom 25.04.2018 – XII ZB 216/17 FamRZ 2018, 1110[]
  2. AG Aurich, Beschluss vom 11.02.2020 – 16a XVII 368/19[]
  3. LG Aurich, Beschluss vom 27.03.2020 – 7 T 89/20[]
  4. BGH, Beschluss vom 25.04.2018 – XII ZB 216/17 , FamRZ 2018, 1110 Rn. 7 mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 29.04.2020 – XII ZB 242/19 FamRZ 2020, 1300 Rn. 16, 27 mwN[]
  6. vgl. BVerfG FamRZ 2008, 2260, 2261[]
  7. BVerfG FamRZ 1992, 1038, 1039 mwN[]
  8. BVerfG FamRZ 1983, 251, 252; vgl. auch BGH, Urteil vom 07.11.2001 – XII ZR 247/00 , NJW 2002, 671 f.[]
  9. BVerfG NJW 1981, 1943[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 27.04.2016 – XII ZB 485/14 , FamRZ 2016, 1142 Rn. 14 mwN[]

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