Hat das Amtsgericht es in verfahrenswidriger Weise unterlassen, in einem Betreuungsverfahren für den Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, und hat es demgemäß den Betroffenen ohne Verfahrenspfleger angehört, so hat das Landgericht den Betroffenen erneut anzuhören und dem – nunmehr von ihm bestellten – Verfahrenspfleger Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen[1].

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen. Zudem kann im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen[2].
Vorliegend hätte das Landgericht die Betroffene erneut anhören müssen, weil die Anhörung durch das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist. Denn es hat der Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt und dementsprechend die Betroffene ohne Verfahrenspfleger angehört.
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll – wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist – nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG[3].
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt, wobei es hierfür genügt, wenn die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst[4]. Ebenso ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für das gesamte Vermögen in Betracht kommt[5].
Gemessen hieran hätte das Amtsgericht der Betroffenen im hier entschiedenen Fall einen Verfahrenspfleger bestellen und ihm Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung der Betroffenen teilzunehmen.
In ihrer Anregung, eine Betreuung für die Betroffene einzurichten, hatte die psychiatrische Klinik bereits die Einrichtung einer umfassenden gesetzlichen Betreuung vorgeschlagen. Aus dem Sachverständigengutachten vom 25.02.2019 ergibt sich zudem die Empfehlung des Gutachters, aus nervenärztlicher Sicht für die Betroffene einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und finanzielle Angelegenheiten einzurichten. Deshalb war das Amtsgericht vor der von ihm vorgenommenen Anhörung am 14.05.2019 gehalten, der Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Soweit das Amtsgericht die unterbliebene Bestellung eines Verfahrenspflegers mit dem „offensichtlich(en)“ Betreuungsbedarf begründet hat, ist dies als Begründung i.S.v. § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG schon im Ansatz nicht geeignet.
Weil damit die Anhörung durch das Amtsgericht ohne Teilnahmemöglichkeit des hier zu bestellenden Verfahrenspflegers und demgemäß verfahrensfehlerhaft erfolgt war, musste das Landgericht, das der Betroffenen auf der Grundlage der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung zu Recht einen Verfahrenspfleger bestellt hat, ihre Anhörung erneut durchführen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6. Mai 2020 – XII ZB 504/19
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 14.02.2018 XII ZB 465/17 FamRZ 2018, 705[↩]
- BGH, Beschluss vom 15.08.2018 XII ZB 10/18 FamRZ 2018, 1770 Rn. 11 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 14.02.2018 XII ZB 465/17 FamRZ 2018, 705 Rn. 7 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 11.12.2019 XII ZB 249/19 FamRZ 2020, 538 Rn. 7 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.05.2018 XII ZB 577/17 FamRZ 2018, 1193 Rn. 12 mwN[↩]