Betreuungsverfahren – und die übergangenen Wünsche des Betreuten

Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen[1]. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht beachtet worden ist[2].

Betreuungsverfahren – und die übergangenen Wünsche des Betreuten

So lag der Fall hier: Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie am Asperger-Syndrom. Er wohnt in einer Wohneinrichtung für junge Erwachsene mit psychischen Erkrankungen. Sein Betreuer ist mit der Fachleiterin der Einrichtung verheiratet. Wegen der Besorgnis eines Interessenkonflikts in der Person seines Betreuers beantragte der Beschwerdeführer, diesen zu entlassen und einen neuen Berufsbetreuer sowie einen namentlich genannten ehrenamtlichen Betreuer zu bestellen.

Das Landgericht Arnsberg[3] ist auf den Vorschlag des Beschwerdeführers, in Zukunft von einer konkret benannten Person als ehrenamtlichen Betreuer betreut zu werden, nicht eingegangen, obwohl auf den Vorschlag des Beschwerdeführers hin ein Betreuerwechsel jedenfalls hätte geprüft werden müssen. Nach § 1908b Abs. 1 Satz 3 BGB soll das Gericht einen nach § 1897 Abs. 6 BGB bestellten Berufsbetreuer entlassen, wenn der Betreute durch eine oder mehrere andere Personen außerhalb einer Berufsausübung betreut werden kann[4]. Gemäß § 1908b Abs. 3 BGB kann das Gericht den Betreuer entlassen, wenn der Betreute eine gleich geeignete Person, die zur Übernahme bereit ist, als neuen Betreuer vorschlägt. Die Eignung der vorgeschlagenen Person prüft wiederum das Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG[5]. Mit der Benennung einer konkreten Person durch den Beschwerdeführer, die als ehrenamtlicher Betreuer anstelle des bisherigen Berufsbetreuers in Betracht käme, hätte sich das Landgericht daher auseinandersetzen müssen.

Die Entscheidung beruhte auch auf diesem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es den Wunsch des Beschwerdeführers, von dem genannten ehrenamtlichen Betreuer betreut zu werden, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, einen Betreuerwechsel angeordnet hätte. § 1908b Abs. 3 BGB räumt dem Gericht bei einer bereits bestehenden Betreuung zwar ein Ermessen ein. Bei der Ausübung des Ermessens ist aber dem Wunsch des Betroffenen besonderes Gewicht beizumessen[6].

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. März 2022 – 1 BvR 2210/21

  1. vgl. BVerfGE 47, 182 <188 f.> 86, 133 <146>[]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2016 – 1 BvR 1225/15, Rn. 11 m.w.N.[]
  3. LG Arnsberg, Beschluss vom 23.08.2021 – I-5 T 119/21[]
  4. vgl. dazu Schneider, in: Münchener Kommentar BGB, 8. Aufl.2020, § 1908b Rn. 18[]
  5. vgl. Schmidt-Recla, in: Krafka/Schindler, BeckOGK BGB, § 1908b Rn. 49 [Feb.2022][]
  6. vgl. Schmidt-Recla, in: Krafka/Schindler, BeckOGK BGB, § 1908b Rn. 52[]