Betreuungsverfahren – und das Absehen von der persönlichen Anhörung durch das Beschwerdegericht

Wann das das Beschwerdegericht im Betreuungsverfahren von der persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen? Mit dieser Frage hatte hatte sich erneut der Bundesgerichtshof zu befassen:

Betreuungsverfahren – und das Absehen von der persönlichen Anhörung durch das Beschwerdegericht

Zwar eröffnet § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren diese Möglichkeit. Ein solches Vorgehen setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist[1].

Ein Absehen von der Anhörung im Beschwerdeverfahren scheidet zudem dann aus, wenn das Beschwerdegericht eine neue, nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datierende Tatsachengrundlage heranzieht[2].

Beides war im hier entschiedenen Streitfall gegeben:

Das Amtsgericht hatte den Betroffenen zu einem Zeitpunkt angehört, als das Sachverständigengutachten des Dr. B. noch nicht erstattet war. Diese Anhörung konnte mithin weder die Funktion erfüllen, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu dem Sachverständigengutachten und den sich daraus ergebenden neuen Umständen zu äußern[3], noch hat das Amtsgericht die im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) gebotene kritische Überprüfung des Gutachtens anhand des in einer Anhörung gewonnenen persönlichen Eindrucks vorgenommen[4].

Mit dem weiteren Gutachten des Sachverständigen S. hat sich das Landgericht zudem auf eine neue Tatsachengrundlage gestützt. Daher war eine Anhörung im Beschwerdeverfahren zwingend geboten. Nicht ausreichend ist, dass das Landgericht einen Anhörungstermin anberaumt hat, zu dem der Betroffene nicht erschienen ist.

Einer der von der Bundesgerichtshofsrechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle, in denen das Betreuungsgericht das Verfahren nach § 34 Abs. 3 FamFG auch ohne persönliche Anhörung des Betroffenen beenden kann[5], lag hier nicht vor. Es war weder vom Landgericht festgestellt noch anderweitig ersichtlich, dass die gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig wäre und außerdem alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, den Betroffenen anzuhören bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Februar 2019 – XII ZB 444/18

  1. BGH, Beschluss vom 21.11.2018 XII ZB 57/18 5 mwN[]
  2. BGH, Beschluss vom 10.10.2018 XII ZB 230/18 FamRZ 2019, 140 Rn. 6 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 21.11.2018 XII ZB 57/18 Rn. 6 mwN[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 12.10.2016 XII ZB 246/16 FamRZ 2017, 142 Rn. 11; und vom 06.11.2013 XII ZB 650/12 FamRZ 2014, 293 Rn. 13 mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 26.11.2014 XII ZB 405/14 FamRZ 2015, 485 Rn. 5; und vom 02.07.2014 XII ZB 120/14 FamRZ 2014, 1543 Rn. 11 ff.[]